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Referenzieller Wildwuchs

Finnland regiert Berlin: Die begnadeten Entertainer von Aavikko waren im Bastard

Das ganze Konzert über macht ein elektronischer Ticker Reklameansagen wie „Hello Berlin people“ oder „for you play: Aavikko“. In der freien Marktwirtschaft heißt so was wohl „Kommunikation mit den Kunden“, bei Aavikko läuft es unter Show, so wie bei ihnen alles auf Show hinausläuft. Die Band kommt aus Finnland, was im Moment gut passt.

Denn Berlin scheint gerade seine finnischen Wochen abzuhalten und das nordische Popwunder in all seinen Facetten beleuchten wollen. Vor kurzem waren die Extremelektroniker von Pan Sonic in der Stadt, dann Jimi Tenor, morgen die großartigen Pistepirkko 22 und am Sonntag eben diese seltsame Truppe aus Billigkeyboardwürgern. Natürlich weiß man längst: Die spinnen, die Finnen. Das Konzert war dann die reinste Affirmation von blöden Finn-Klischees, Aaavikko bestätigten die Vorstellung vom komischen Finnen vollauf.

Interessanter war es zu sehen, wie sie aus einem Wildwuchs an Referenzen doch noch Neues, in dieser Form vorher nie Gehörtes oder Gesehenes zauberten. Kraftwerk etwa wurden zitiert, aber immer wieder auch gebrochen. Der Schlagzeuger war eine unerschütterlich präzise Menschmaschine, und einer der beiden Tastenquetscher besaß das perfekte Wachsgesicht. Eine Hommage, die sich auch soundmäßig andeutete, wäre also im Bereich des Möglichen gewesen. Wenn der andere Flinkfinger nicht ständig die ungebändigte Partysau gegeben hätte.

Die Anzüge, die zwei der drei Aavikkos trugen, waren wirklich speziell. Darin sahen sie aus wie Space-Commanders eines Pappe-Ufos auf heilloser Mission. An den Brusttaschen blinkten die jeweiligen Initialen von Tomi Leppänen, Tomi Kosonen und Paul „Graf“ Staufenberg, und am besten waren die goldenen Kragen aus Weihnachtssternfaltpapier.

Die Musik stand den Anzügen in nichts nach. Darin trafen die Moog-Exzesse von Add N To X auf alle möglichen Formen von Folklore. Gelegentlich wurde ein wenig Kirmes-Techno dazugereicht, ein wenig cheasy war’s immer, und am besten war die Sache dann, wenn alle Zeichen auf Pogo standen. Den gab es dann reichlich im erstaunlich vollen Bastard. Eine tanzwütige Fangemeinde scheinen Aavikko inzwischen in Berlin zu haben: Die Tour mit Stereo Total vor ein paar Jahren hat Spuren hinterlassen, die Band ist nicht weit entfernt davon, eine Art Kultstatus zu entwickeln. Überhaupt scheint Berlins Trash-Prominenz sehr angetan zu sein von ihren finnischen Brüdern im Geiste. Gonzo Gonzales, Peaches und Patric Catani wurden gesichtet, begnadete Entertainer beklatschten begnadete Entertainer.

Um nicht zu sagen: begnadete Superentertainer. Die Irrentruppe ist eine Showband vor dem Herrn. Soundeffekte wurden durch den Einsatz von komischen Leuchtkugeln visuell mitinszeniert, eine Zuschauerin durfte auch mal auf seltsamem Gerät mitklopfen, und als ein paar Geräte auf den Boden plumpsten und ausfielen, legte der Schlagzeugroboter eben ein klasse Solo hin. Es war ein tolles Konzert. ANDREAS HARTMANN

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