Der Protokollant seiner selbst

Der Angeklagte Daum hält vor Gericht, ganz ungewohnt, den Mund. Dafür bringt er alles zu Papier, so ausdauernd und atemlos, wie er sonst redete

aus Koblenz BERND MÜLLENDER

Christoph Daum schweigt. Dauerhaft. Kein Ton. Das ist, als würde Verona Feldbusch die „Tagesschau“ für Taubstumme präsentieren. Was auch passiert in der Drogen-Causa gegen „Daum und andere“, der Vielsprecher hält im Gerichtssaal den Mund. Auch heute, am 4. Verhandlungstag, wird das wieder so sein. Statt zu sprechen, schreibt Daum. So ausdauernd und atemlos, wie er sonst redete: die Füße unter dem kargen Angeklagtenbänkchen wie im Startblock eines Sprinters, den Blick zwischendurch ins Unendliche gerichtet, mal suchend, mal nachdenklich, angespannt der ganze Rest: Und dann saust der Stift übers Papier. Seitenweise.

Das zahlreiche Publikum im Koblenzer Landgericht wundert sich: Sind das schon die Memoiren? Eine Beschäftigungstherapie? Will der Fussbaltrainer Journalist werden oder Gerichtsprotokollant? Ist es nur ein privates Tagebuch mit dem demonstrativen Nachweis, dass er auch clean zu marathonesken Höchstleistungen fähig ist? Auch nach der Mittagspause sitzt er lange vor allen anderen wieder auf seinem Platz und schreibt und schreibt. Erste Hochrechnungen ergeben, dass Nachschlagewerke weit über Brockhaus-Umfang entstehen könnten. „Ich, Kokser Daum. Die Jahre 1999–2001“, pro Tag ein armdicker Band.

Manchmal geht Christoph Daum in den Pausen auch raus. Dann nimmt er allen die Sorge, er sei plötzlich zu einem introvertierten Anderen geworden. Da gibt er kommentierend Autogramme. Da scherzt er. Da wartet er auf Fragen. Da sagt er zu einem türkischen Fan etwas auf Türkisch. Da lässt er sich, wie vergangenen Dienstag, von einem Teeniefan ein getrocknetes, schneeweißes Edelweiß als Glücksbringer schenken, steckt es andächtig ins Portmonee hinter die goldene Kreditkarte und sagt: „Danke, das ist aber lieb.“ Und lächelt mild, als wäre er stolzer Bundestrainer.

Christoph Daum erklärt aber auch seine Schreibwut. Erst sagt er, er schreibe „ach, so naiv-juristische Dinge, alles Mögliche, was mir auffällt, um das Stimmungsbild zu erfassen“. Dann sagt er: „Um als Bande zu wirken in der Diskussion mit meinen Anwälten, wenn wieder jemand was Falsches gesagt hat. Ich weiß ja, wie es wirklich war.“ Später: „Ich weiß noch nicht, ob die Notizen nur für mich sind oder für die Öffentlichkeit.“ Um auf Nachfrage mit freudigem Blick kund zu tun: „Doch, Verlage haben schon Interesse angemeldet.“

Schließlich ist Daum wieder Daum. Er nennt seinen Strafprozess „diese ganze Showveranstaltung“ und vergleicht seine Schreibwut, „auch wenn ich es eigentlich nicht so direkt möchte“, mit der Helmut Kohls: „Der konnte nachher auch einiges geraderücken.“

Heute wird Daum niederschreiben, wie das Gericht über das Konvolutgewitter von Anträgen seiner drei Anwälte befindet: ob die emsige Staatsanwaltschaft wirklich „Gerichtsakten manipuliert“ hat, das „Gericht getäuscht“, „Tatsachen vertuscht“ und telefonische Abhörmaßnahmen in Dealerkreisen (wo der Name Daum mehrfach gefallen sein soll) dreisterweise so rückdatiert hat, dass sie legal erscheinen konnten (siehe Interview). Alles in allem, so einer von Daums Anwälten vor Gericht, „eine rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit“. Das Verfahren, so die Verteidiger, sei umgehend auszusetzen.

Falls die Telefonüberwachung tatsächlich widerrechtlich war, sind ihre Inhalte nicht verwertbar, und die Anklage gerät in Beweisnot. Gut für Daum. Eine Aussetzung auf unbestimmte Zeit wäre indes aus vielen Gründen bedauerlich. Die eitlen Verteidiger des eitlen Daum könnten sich keine Schlammschlachten mehr liefern mit dem nicht minder eitlen Staatsanwalt Jörg Angerer. Der hat, sichtlich empört über den Vorwurf der fortgesetzten gewollten Rechtsbeugung, schon angekündigt: „Wenn sich Ihre Behauptungen als Luftnummer herausstellen, dann wird das Weiterungen nach sich ziehen.“

Die Drohung könnte bedeuten: Dann folgen Folgeklagen, Angerer gegen Dr. Stankewitz und andere, wegen Rufschädigung, auf Unterlassung womöglich. Die Rollen werden ständig getauscht. Der anklagende Staatsanwalt wird unter dem Trommelfeuer der Daum-Anwälte zum Angeklagten. Jetzt werden die aggressiven Verteidiger attackiert. Ein offener Schlagabtausch, fast wie auf dem Fußballplatz.

Überhaupt, der arme Angerer: Während er den Richter bitten muss, die vielseitigen Beweisanträge der drei Daum-Anwälte „möglichst bald schriftlich zu bekommen“, verteilt vor dem Gerichtssaal Dietmar Tambor, quasi der Medienbeauftragte der Kanzlei, die Texte per Kopie an die Presse. Mit freundlichem Lächeln. Wenn man sagt, man wünsche noch ein Exemplar für den Herrn Staatsanwalt, guckt er einen Moment richtig böse, bevor er den kleinen Scherz versteht.

The show should go on. Wird das Verfahren ausgesetzt, können wir heute, beim Beginn der Beweisaufnahme auch nicht aus dem Mund von Kriminalhauptkommissar Hilger hören, wie das so geht in der Bundesrepublik Deutschland, wenn staatliche Stellen Kokaingespräche zwischen dubiosen Milieufiguren und einem einstmals hoch angesehenen Fußballlehrer belauschen. Und Christoph Daum, der Protokollant seiner selbst, müsste den Griffel abgeben und sich schon wieder eine neue Beschäftigung suchen. Wahrscheinlich würde er noch mehr reden als sonst.