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Winter in Hamburg

Der Mitternachtsbus fährt seit fünf Jahren zu Obdachlosen. Keiner weiß, wie viele es in Hamburg sind. Klar ist: es gibt zu wenig Unterkünfte  ■ Von Sandra Wilsdorf

Als Klaus Meyer vor fünf Jahren hörte, dass in Hamburg Obdachlose erfrieren, konnte er das erst nicht glauben. Und dann wollte er etwas dagegen tun. Seitdem fährt er im Mitternachtsbus der Diakonie mit. Seit genau fünf Jahren suchen Ehrenamtliche in jeder Winternacht Obdachlose dort auf, wo sie schlafen. Sie bringen ihnen Decken, warme Kleidung, Isomatten, Brot, heiße Getränke und vor allem Menschlichkeit. Etwa 94 Menschen kommen pro Nacht zum Bus und der Bus zu ihnen. Tendenz steigend. „In letzter Zeit beobachten wir besonders ältere Menschen, die um Brot bitten, für mich ist das ein Hinweis auf Altersarmut“, sagt Projektleiterin Barbara Rieck.

Der Mitternachtsbus war eine Idee des damaligen Landespastors Stephan Reimers, der auch Hinz & Kunzt, Hamburger Tafel und Spendenparlament erfunden hat. Es mangelt nicht an Helfern, aber immer an warmer Kleidung, Kaffee und auch Geld für Isomatten und Schlafsäcke. Die Zahl der Obdachlosen hat sich erhöht, genau weiß das jedoch niemand, die Sozialbehörde operiert mit alten Zahlen von 1200 Menschen. „Wir rechnen aber mit 2500 bis 3000 Odachlosen“, sagt Timo Spiewak, Pressesprecher der Caritas. Im kommenden Jahr soll es eine Zählung geben.

Aber das ist Statistik, Tatsache ist: „Es mangelt an medizinischer Versorgung und an Unterkünften“, sagt Spiewak. Und auch Peter Schröder-Reineke, bei der Diakonie für Wohnungslosenhilfe zuständig, sagt: „Die etwa 200 Plätze des Winternotprogramms reichen nicht aus, und das weiß auch jeder in dieser Stadt.“ Dem städtischen Träger pflegen & wohnen ist es in diesem Jahr besonders schwer gefallen, Platz auf den Wohnschiffen zu schaffen. Die sind mit Asylbewerbern überbelegt, weil die Stadt keine Unterkünfte an Land findet. Nun sind es doch noch 100 Schlafplätze auf der „Bibby Challenge“ geworden, außerdem haben einige Kirchengemeinden Container aufgestellt und so weitere 90 Schlafplätze eingerichtet.

Winfried Sdun von pflegen & wohnen will nicht beurteilen, ob es in der Stadt zu wenig Kapazitäten gibt und sagt: „In der fünften Nacht hatten wir eine Auslastung von 56 Prozent.“ Holger Harnisch vom „Cafe mit Herz“ hingegen hat beobachtet: „Wir konnten häufiger keine Plätze vermitteln.“ Dabei hat der Winter noch gar nicht richtig angefangen. „Ich fordere 50 bis 100 Plätze mehr, denn wenn es richtig kalt wird, stehen die Leute vor der Tür“, sagt Schröder-Reineke.

Schwarz-Schill sieht er gelassen entgegen: „Wir werden unsere Arbeit fortsetzen und in Gedankenaustausch treten.“ Und Klaus Meyer sagt: „Wenn der neue Senat die Obdachlosigkeit bekämpft, dann hat er uns als Partner, wenn er die Obdachlosen bekämpft, dann sind wir seine Gegner.“

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