: Beredtes Körperteil
■ Premiere: Das Junge Theater zeigt heute Eve Enslers Vagina Monologe in der Inszenierung von Friederike Füllgrabe
Sie hat passende Schuhe und einen Platz auf dem Schwebebalken gefunden. Nur mit dem Gleichgewicht hat sie Probleme, so dass sie mehrmals von der Stange hinunterzufallen droht: ein mühsamer Versuch, die Balance zwischen eigenem Körpergefühl und hübschem Aussehen zu finden.
Dann lächelt sie wieder und wartet – auf ihren Vagina Monolog. Als sie zu Wort kommt, berichtet sie über Überschwemmungskatastrophen, die sie „da unten“ ereilen, als das Begehren sie in einem weißen Cadillac überkommt. Das Resultat sind Flecken auf Autositz und Kleid, der Verlust eines potenziellen Liebhabers und eine seit 1957 geschlossene Vagina.
Die Schauspielerin verkörpert in dieser Szene ein weibliches Körperempfinden, das durch auferlegte Selbst- und Fremdbilder nicht zu sich selbst finden kann. Der direkte Weg zur eigenen Lust ist versperrt und kann nur über Umwege wiedererlangt werden. Die annehmende Beschreibung eigener Gefühle ist ein Versuch der Wiederaneignung lustbringender Körperzonen: eine Prozedur, die Eve Ensler in den „Vagina Monologen“ nachgebildet hat und die Friederike Füllgrabe in ihrer Inszenierung umsetzt.
Diese hat heute im Jungen Theater Premiere. Nachdem bereits das Hamburger Schauspielhaus und die Berliner „Arena“ erfolgreich inszenierten, können sich nun BremerInnen auf eine eigene, lokale Aufführung freuen. Während in Hamburg und Berlin eine Distanz zu Eve Enslers Textvorlage produziert wurde – so führte das Schauspielhaus eine Revue auf, in der „Arena“ wurde im Boxring gespielt – tastet sich Füllgrabe so nah wie möglich an den Text heran. Nach Angaben der Regisseurin wird von der Textvorlage nicht abgewichen, sondern die Schauspielerinnen sollen sich in die Erfahrungen hineinversetzen, die Ensler in ihrem auf 200 Interviews basierenden Text verdichtet hat.
Dadurch werden die oftmals schmerzhaften Erfahrungsberichte von Frauen unvermittelt an die ZuschauerInnen herangetragen. Die vergewaltigte Bosnierin erzählt ebenso wie die Ehefrau, die von ihrem Mann zur Therapie geschleppt wird, weil sie sich die Schamhaare zu seinem Lustgewinn nicht abrasiert. Füllgrabe setzt somit auf die Macht des Wortes und vertraut auf das Einfühlungsvermögen ihrer ZuschauerInnen.
Dieses an der Intention der Autorin ausgerichtete Verfahren hat den Vorteil, die Ernsthaftigkeit von Enslers Engagements gegen frauenfeindliche Gewalt und für ein weibliches Empowerment zu vermitteln. Der „Gesang über die Fotze“ ist hier beispielhaft, der sich zahlreichen angenehmen Assoziationen hinsichtlich des weiblichen Geschlechts widmet. Und die theatrale Darstellung orgiastisch stöhnender Frauen wurde während der Probearbeiten so glaubhaft gespielt, dass man vermeintlich Intimitäten störend beiwohnte.
Gleichzeitig ist der Versuch einer von Füllgrabe erstrebten „au-thentischen“ Wiedergabe gewagt und risikoreich. Denn ein neuer kultureller Kontext ist bereits dadurch entstanden, dass das Theaterstück die USA verließ und nun Europa erreicht hat. Das Berliner Stadtmagazin Zitty sprach anlässlich der Arena-Aufführungen von „unschuldigen Erzählungen über Masturbations-Selbsthilfegruppen und Vagina-Connaisseuren“.
Vielleicht ließe sich daraus schlussfolgern, dass die Rede über weibliche Lust hierzulande selbstverständlicher ist und die Erzählungen folglich von kulturellem Kontext zu Kontext variieren. Was in den puritanisch-geprägten USA eine tabubrechende Normüberschreitung ist, muss nicht notwendiger Weise überall so rezipiert werden. Selbst die Hamburger Inszenierung, die den Versuch unternahm, per Fragebögen – „Wie nennen Sie Ihre Vagina?“ – neue Stellungsnahmen zum Thema Möse miteinzubeziehen, wurde keineswegs als bahnbrechend und ent-tabuisierend empfunden.
Ein aktueller Bezug bleibt in Füllgrabes wortgetreuer Annäherung aber unaufgenommen – obwohl die Wichtigkeit des Themas geradezu auffordert, sich ihm immer wieder von Neuem zuzuwenden. Das Hinzuziehen neu kontextualisierter Aussagen von Frauen hätte möglicherweise ein weniger entfremdetes oder rebellierendes Bild weiblicher Lust und Körperempfindens hervorgebracht – zumal Feministinnen seit über 30 Jahren für Veränderungen weiblicher Selbstwahrnehmung kämpfen.
Dass die Selbstentdeckung von Mösen und Muttermündern in Frauengesundheitszentren längst passé ist, hat nicht nur mit dem vielberedeten feministischen Backlash zu tun. Vielmehr verständigen sich viele Mädchen und Frauen mittlerweile selbstverständlich und selbstbewusst über Körperthemen – auch dank der langjährigen Arbeit von Feministinnen.
Das Stück und seine wortgetreue Inszenierung rekurriert jedoch auf Selbsterfahrungslyrik und Opferrethorik der 70er Jahre – die zwar wichtig ist, aber dennoch der Umarbeitung bedarf. Denn keine Gesellschaft bleibt stehen und möglicherweise haben Frauen heutzutage mit ganz anderen Unterdrückungsmechanismen zu kämpfen. Improvisationen und neu erarbeitete Texteinschübe wären aktualisierende Möglichkeiten gewesen. Spannend bleibt nun, ob es Füllgräbe durch Raum und Requisite gelingen wird, das Thema neu zu belegen. Doro Wiese
Premiere heute um 20.30 Uhr im Jungen Theater am Güterbahnhof. Für die morgige Aufführung (8.11.) verlost die taz 5x2 Karten: Dafür heute zwischen 10.30 und 11 Uhr unter Tel. (0421) 700 141 anrufen
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