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Krise in Nigeria

Die heutige und die frühere Militärführung streiten um ein Armeemassaker an hunderten von Zivilisten im Oktober

LAGOS taz ■ Wer ist verantwortlich für Nigerias größtes Armeemassaker seit der Demokratisierung? In der Schusslinie stehen Verteidigungsminister Theophilus Danjuma und Armeechef Alexander Ogomudia. Es geht um die Ermordung von mindestens 200 Menschen im östlichen Bundesstaat Benue durch Soldaten Ende Oktober. Die Soldaten waren auf Rachefeldzug, nachdem Milizen des Tiv-Volkes Anfang Oktober 19 Soldaten brutal umgebracht hatten. In einer tagelangen Strafexpedition brannten die Militärs mehrere Dörfer nieder. Bis zu 100.000 Menschen wurden vertrieben.

Die getöteten Soldaten waren Beteiligte einer Friedensmission, um die seit Monaten andauernde Gewalt zwischen den Volksgruppen der Tiv und Jukun zu beenden. Aber möglicherweise war alles eine Verwechslung. Das Nachrichtenmagazin Tell berichtet, dass die Milizen der Tiv die 19 Soldaten für verkleidete Jukun hielten und sie daher lynchten. Tell veröffentlichte Exklusivfotos von der Gewaltorgie.

Sprecher der Tiv wie Victor Malu, ehemaliger Armeechef aus den Zeiten der Militärdiktatur, sehen in der Verschärfung des Konflikts zwischen Tiv und Jukun keine Zufälligkeit. Es gab heftige Proteste der Tiv, als der 1999 frisch gewählte Präsident Olusegun Obasanjo den Jukun Danjuma zum Verteidigungsminister ernannte. Nach den blutigen Rachefeldzügen der Armee sieht sich Obasanjo Genozidvorwürfen der Tiv gegenüber. „Die Vergeltungsmaßnahme war keine Spontanaktion von Soldaten. Das war geplant, mit Autorisierung von höheren Stellen“, sagte Malu der Tageszeitung Punch.

Die Rolle der Armee bleibt in der Tat ungenau. Zunächst sagte Stabschef Ogomudia, dass das Militär nichts mit der Sache zu tun habe. Als Beweise aufkamen, gründeten Armeeangehörige eine Untersuchungskommission. Es gibt viele Fragen: Kann es sein, dass Soldaten ohne Erlaubnis tagelang in gepanzerten Fahrzeugen herumfahren?

Aber Rücktrittsforderungen schenken der amtierende Armeechef und der Verteidigungsminister kein Gehör. Vielmehr fragen sie, wie es sein kann, dass Dorfmilizen über schwere Waffen verfügen. Die Volksgruppe der Tiv hat den größten Anteil an pensionierten Soldaten in ganz Nigeria. Da oftmals keine Renten bezahlt werden, können Exsoldaten schnell von Interessengruppen instrumentalisiert werden. Ein Parlamentsabgeordneter beschuldigt den Gouverneur von Benue, George Akume, Exsoldaten angestachelt zu haben.

In Nigeria setzt sich ohnehin die Meinung durch, dass die sich häufenden schweren Unruhen weder ethnischer oder religiöser Natur sind, sondern Machtkalkül im Hintergrund haben. Es geht meist ganz simpel um Verteilung von Staatsaufträgen – nach der Strategie: Gib mir den Vertrag oder ich zettele Aufruhr an.

HAKEEM JIMO

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