: Erfolgreiche Hetzkampagnen
betr.: „Otto find ich gar nicht gut“ (Sicherheitspaket), „Schily zieht Union die Zähne“, taz vom 25./30. 10. 01
Zu Recht ist bereits viel Kritik geübt worden an dem auch meiner Ansicht nach völlig überzogenen, von blindem Aktionismus geprägten so genannten Anti-Terror-Paket Otto Schilys. Der Maßnahmenkatalog kann jedoch nicht isoliert betrachtet werden, er stellt vielmehr nur ein weiteres – wenn auch exponiertes – Mosaiksteinchen auf dem schon länger währenden Weg zur Aushöhlung elementarer Verfassungsprinzipien durch die politische Polemik der „inneren Sicherheit“ dar. [...]
Symbolhaft lässt sich dieses rechtsstaatliche Debakel auf zwei Namen reduzieren: Roland Koch und Ronald Schill. Kernproblem ist nämlich die Glorifizierung eines Zustandes von bestmöglicher „innerer Sicherheit“ als nicht vorhandenes und deshalb erstrebenswertes Ideal durch die rechtskonservativ/-populistischen Kräfte in der Politik. Schon lange vor dem berühmt-berüchtigten Hessen-Wahlkampf von Herrn Koch wurde von Seiten der CDU/CSU die Sicherheitspolitik als Wahlkampfschlager entdeckt, bevorzugt kombiniert mit dem Thema „Ausländer“.
In der Folge ist viel vom subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger die Rede, welches es zu verbessern gilt. Zweifellos: Subjektives Gefühl und objektiver Zustand der Sicherheit klaffen bei nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung weit auseinander.
Der eigentliche Skandal ist aber doch, dass der Grund für diese Differenz in der realitätsfernen, machtgeilen Hetzerei von rechts zu finden ist. Lügen und Halbwahrheiten werden verbreitet, Statistiken werden zurechtgebogen und zusammenhanglos rezitiert [. . .]. Einstweiliger Höhepunkt der Hetze war besagter Hessen-Wahlkampf, der nicht allein durch den xenophoben Grundton schockierte, sondern – und darin liegt das Hauptproblem – den Menschen eine diffuse Angst einredete, die zunächst gar nicht existierte.
Nach dem durchschlagenden Erfolg in Hessen wurde die Taktik immer beliebter: Während die Union großspurig verkündet, sie allein nähme die Sorgen und Ängste der Menschen ernst, wird in der öffentlichen Debatte allzu oft unterschlagen, dass diese angeblichen Ängste den Menschen zuerst einmal eingeredet worden sind. Dabei sprechen die Statistiken, in Zeiten des Internet für jedermann nachzulesen, eine ganz andere Sprache, als Beispiel sei nur genannt, dass die Gefahr für erwachsene Menschen, Opfer eines Gewaltdeliktes zu werden, seit Ewigkeiten abnimmt. Trotzdem nimmt die Angst, Opfer zu werden, seit einigen Jahren stetig zu – ein deutlicher Beleg für den Erfolg der Hetzkampagnen.
Was nun den aktuellen Höhepunkt des Populismus betrifft, Herrn Schill in Hamburg, so steht die Union dem Richter Gnadenlos wie der Zauberlehrling gegenüber, der seine Geister nicht loswird und Stimmen an jemanden verliert, der die erfolgreiche Methode der demagogischen Fehlinformation lediglich noch dreister praktiziert.
Und die Rolle der SPD, um auf Herrn Schily und seinen aktuellen Otto-Katalog zurückzukommen? Es wäre ein Leichtes, die Hetze im Thema Sicherheit mit Argumenten auszukontern, doch sind die Sozialdemokraten entweder nicht in der Lage dazu, oder es fehlt gar der Wille. Im Hessen-Wahlkampf überließ man das Feld nahezu ohne Gegenwehr Herrn Koch, die Gesetzesentwürfe zur Staatsbürgerschaft konnten falsch zitiert, ihr Sinn komplett ins Gegenteil verkehrt werden, gleichwohl regte sich kein fachlich fundierter Protest.
In Folge des damaligen Misserfolgs wie auch des aktuellen Fehlschlags in Hamburg springt die SPD nun also massiv auf den Unionszug auf, in vorauseilendem Gehorsam werden Pakete geschnürt, die sogar aus progressiven Kreisen der CDU kritisiert, von der CSU dagegen beklatscht werden. Der Erfolg scheint den Sozi-Strategen Recht zu geben, denn die Unionsopposition ist nahezu von der Bildfläche verschwunden, die Grünen können mangels Gewicht ihrer Stimme bloß Schadensbegrenzung betreiben. Deutschland ist ein Land ohne Mitte geworden.
THOMAS BURMEISTER, Dortmund
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