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winfried nachtwei„Deutschland im Nebel“

taz: Am 19. September haben Sie mit Ja gestimmt, als der Bundestag den USA militärische Unterstützung zusagte. Jetzt, wo’s konkret wird, kommen Ihnen Zweifel?

Winfried Nachtwei: Von dem, was man jetzt auf dem Tisch liegen hat, sind viele in der Fraktion erstmal wie erschlagen. Im September haben wir im Bundestag über eine Solidaritätserklärung mit Amerika abgestimmt. Auch wenn in der Resolution von militärischen Mitteln die Rede war, haben wir damit nichts vorweggenommen – insbesondere nicht die Entscheidung über eine deutsche Beteiligung an US-Militäreinsätzen. Das hat uns damals auch unsere Fraktionsführung zugesichert.

Der Bundeskanzler will den Amerikanern ein Kontingent von 3.900 Soldaten zur Verfügung stellen. Was ist daran unerwartet?

Das „Womit“ dieses Einsatzes war vorher halbwegs bekannt, das äußerst Haarige ist das „Wofür“. Hier findet eine zunehmende Entgrenzung des Einsatzes statt: Weder der Auftrag noch das Einsatzgebiet sind eingegrenzt. Außerdem hat sich der Kontext in den letzten drei Wochen verändert. Experten sagen mir, die Bombenangriffe der USA scheinen eher zu Solidarisierungseffekten mit den Taliban zu führen. Ich habe deshalb dickste Zweifel, wenn Deutschland wie im Nebel in eine so schwierige Militäroperation tappt.

Kritik gibt es vor allem am Einsatz von bis zu 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte.

Die Spezialsoldaten entsprechen noch am ehesten dem Kriterium, zielgenau und verhältnismäßig zuzugreifen. Das Problem ist ein anderes: Eigentlich war es eine banale Erkenntnis, dass Terrorismus nicht militärisch besiegt werden kann. Durch die Entgrenzung des Einsatzes entsteht jetzt der Eindruck, dass es genau darum geht.

Die Regierung möchte beim Einsatz der Soldaten vom Bundestag freie Hand für ein Jahr. Dürfen Sie einmal und nie wieder abstimmen?

So wie ich es vom Kosovokrieg in Erinnerung habe, wird es für das Parlament schwierig sein, die Entscheidungen zurückzuholen. Dabei kann sich die Situation in diesem Krieg natürlich binnen 6 Monaten in einer Weise ändern, die wir als Abgeordnete heute noch gar nicht übersehen können.

Wie werden Sie nächste Woche abstimmen?

Zur Zeit überwiegen bei mir deutlich die Gegenargumente.

Was meint die grüne Basis?

Im Kosovo-Krieg hatten wir Pro und Kontra. Jetzt dominiert die Ablehnung. Es gibt in der grünen Partei eine Polarisierung: Hier die Basis, dort „die Berliner“.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ

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