: Erinnern und Fehler zugeben
■ Die Nacht der Bremer Jugend setzt Patina an. Die reifere Jugend hielt Einzug ins Rathaus. Und doch beteiligten sich so viele Jugendliche wie nie mit aktiven Beiträgen
Die Bremer Nacht der Jugend setzt langsam Patina an. Unter den Drängelnden, Essenden, Diskutierenden, Zuhörenden und Nachdenkenden im übervollen Bremer Rathaus war am Mittwochabend die „reifere Jugend“ gut vertreten. Nicht ganz so laut und weniger turtelnd bildeten Ergraute vor allem in der Oberen Rathaushalle eine Konstante. Dort fanden die Programmschwerpunkte dieser fünften, mittlerweile traditionsreichen Nacht statt, die sich als jugendgemäße Form des Erinnerns und Gedenkens an Naziverfolgung und für Verständigung heute versteht. Das diesjährige Thema: „Bewegt Euch – damit der Mensch dem Menschen ein Freund wird“.
Dass die jungen Semester diese Aufforderung zur Bewegung ganz wörtlich nahmen und die Räume verließen, wo sie's weniger spannend fanden, brachte später am Abend den – eigentlich wohlwollenden – Promi-Gast Dietmar Schönherr fast auf die Palme. Gerade bei einer solchen Veranstaltung müsse man sich doch zuhören, zischte er, als die Kids gingen. Die hatten nach dem rockigen Auftritt von „Eden's Garten“ jetzt weniger Lust auf die Fortsetzung der eher wortlastigen Hauptveranstaltung mit Schriftstellerin Leonie Ossowski.
Mucksmäuschenstill war es im Saal, als die Frau mit der altersrauen Stimme von eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung berichtete. Selbst ahnungslose Freizi-Kids, denen der Name Ossowski so wenig sagte wie der von Dietmar Schönherr, hörten ihr gebannt zu, als sie erzählte, wie sie als ehemaliges Flüchtlingskind in Oberschwaben nirgends willkommen war. Ein „Opferbeispiel“, dem sie ein schonungsloses „Täterbeispiel“ vorangestellt hatte, von sich selbst als 14-jähriger, die in der Schule neben Ilse saß, „neben der niemand sitzen wollte, weil sie Jüdin war“. Auch Leonie nicht, die aus der Lage dann aber Kapital schlug – durch einen „Deal“ mit der wehrlosen Banknachbarin. Gegen Abschreibenlassen würde sie Ilse vor Übergriffen von MitschülerInnen schützen. Das ging so, bis Ilse nach der Pogromnacht verschwand. Erst 50 Jahre später tauchte sie wieder auf – und brachte der ehemaligen Banknachbarin eine beklemmende Schulerinnerung mit. Unter einem Foto von Leonie Ossowski stand: „Meine beste Freundin.“ „Das waren Erfahrungen, die mich zu einem politischen Menschen gemacht haben“, schloss Ossowski. Und später ergänzte Dietmar Schönherr: „Erinnern macht nur dann Sinn, wenn man bereit ist, Fehler zuzugeben.“
Dieser und andere Merksätze werden nun Bestandteil eines „Ratschlags“* sein, der über die Veranstaltung hinaus als ermutigende Botschaft wirken soll. Noch in der Nacht stellten Hintergrund-Arbeiter erste Ergebnisse einer ungewöhnlichen Diskussionsrunde dazu ins Netz: Jugendliche ModeratorInnen und eigens geladene Gäste – von Rabbiner Barslai und Propst Lüttel über den Sinto Hanstein, Handwerkskammer-Präses Meyer-Heye bis zur Frauenbeauftragten Hauffe – hatten sich mit über hundert Interessierten in kleine Zirkel gesetzt, um zu diskutieren, wie „der Mensch dem Mensch ein Freund wird“. Eine Frage, die nicht überall im Rathaus mit gleichem Erfolg angegangen wurde.
So warteten junge MuslimInnen und JüdInnen im Original-Bürgermeisterzimmer vergeblich auf ihre christlichen AltersgenossInnen, um über Gemeinsames und Trennendes zu diskutieren. Eine Debatte, die angesichts vereinzelter Bekenntnisse – „ich kenne keine Muslime“– auch an diesem Abend keineswegs überflüssig scheint. Doch vielleicht hat sie anderswo stattgefunden. Und anderswie. Im Erdgeschoss jedenfalls bewegt auch Ali keine Glaubensfrage. Er beobachtet die Mädels hinterm Kuchentresen, die Geld für ihre Jugendarbeit verdienen. „Die sind das Beste am Abend“, sagt er provozierend. Und dann schiebt der Schüler von St. Johann nach, dass er demnächst noch eine Arbeit über den Nationalsozialismus schreiben wird. Eva Rhode
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen