: Bruder Louie
Der alte Mann und der Dancefloor: Wie ein gestandener Las-Vegas-Crooner in die Berliner Clubszene geraten ist und dort für allerhand Verwirrung sorgt – ein Lehrstück in forcierter Legendenbildung
Das gesamte Berliner WMF schaut in eine Richtung. Da, wo die Kotelettenköpfe und die pastellfarbenen Sonnenbrillen hinwippen, ist aber nichts zu sehen. Louie Austen, der Top-Act, steht und singt im Dunkeln.
Würde man es heller machen, dann sähe man einen kleinen, fast zierlichen Mann im dunklen Anzug über einem Opart-Top, das Gesicht faltig und mit Sehschlitzen, bei denen man von weitem nicht feststellen kann, ob sie geöffnet oder geschlossen sind. Seinen Mund hat der Mann jedenfalls geöffnet. Das hört man.
Louie Austen ist der Las-Vegas-Act des Berliner Off-Labels Kitty Yo. Kitty Yo ist der Independent-Szene liebstes Kind, hat Surrogat unter Vertrag, die kanadische Sexy-Dancefloor-Funkperle Peaches, Kante und was sonst noch peppt, kracht oder komisch ist.
So wie diese Idee mit dem alten Mann und dem Sound. Dass Austen „ein großer alter Crooner“ sei, sagt das Label, er habe sogar mit „so großartigen Künstlern“ wie Engelbert Humperdinck gejammt, wovon es „leider“ keine Aufnahmen gäbe.
Die Zutaten zu dieser gutwillig forcierten Legendenbildung stehen: Der gebürtige Wiener Austen ist mit 55 Jahren älter als das Kitty-Yo-Publikum, er war tatsächlich in Las Vegas und er sang tatsächlich mit einer voluminösen, ausgebildeten und warmen Entertainerstimme Klassiker wie „The lady is a tramp“. Allein: Die Hochstilisierung zum Salonlöwen, der Cats in jedem Alter ihre Höschen nässen macht, klappt mit Austen nicht.
Beim Interview vor seinem Berliner Auftritt, in einem der dunklen, latent feuchten Hinterräume des WMF, in dem man kein Schreien hören würde, sitzt der Crooner elegant auf einen alten Sessel und charmiert höchst professionell und mit jeder Menge Schmäh. Er erzählt von den beiden DJs, die ihn vor zwei Jahren an Land gezogen und mit ihm eine Platte mit swingendem Gesang über dunklen House- und Dancesounds produziert haben („Consequences“). Er liefert bescheidene Erklärungsversuche zum Phänomen „ältere Entertainer im Mix mit moderner House- und Tanzmusik“ („die Leute möchten vielleicht nicht immer nur hübsche, junge Menschen sehen, sondern auch mal so einen alten, unattraktiven wie mich“), und behauptet, dass auch er nun auf den Geschmack des neuen Sounds gekommen sei.
Austen ist kein großmäuliger Weiberheld, kein vom Glück und der Muse abwechselnd zungengeküsster Partycracker. Sondern einfach ein talentierter, sympathischer Sänger, ein Nachahmer, kein Original, der in Las Vegas sein Glück gesucht, aber eher mittelmäßig aufregendes Auf und Ab gefunden hat, der seine Brocken mit Hotellobby-Gesang verdient (immerhin im „Marriott“ in Wien), für den die Zusammenarbeit mit den Youngstern aus Wien womöglich noch ein größerer Glücksgriff ist als umgekehrt. Die Platte „Only Tonight“ versucht, in den Schatten von Hits wie „History repeating“ (Shirley Bassey mit den Propellerheads) oder „Sexbomb“ (Tom Jones mit Mousse T.) zu drängeln.
Tanzbar ist die neue Platte, das Duett „Grab my shaft!“, in dem Austens und Peaches’ gesampeltes, schmutziges Gegurre so schön über den Housebässen einschlagen, dass es einem wohlig das Rückrat runterfließt, der Dancefloor-Hit „Hoping“, der durch Streicher und Bläser aufgepeppte Schlager „Amore (I love you)“. Aber eine Show, zu der man die Haare zu wilden Kaffeekannen-Hochfrisuren auftürmt und begeistert Blumen respektive BHs auf die Bühne schmeißt, ist das nicht, trotz Austens im breitesten American Slang vorgetragenen Ansagen, seiner Attitüde, die dunkle Ecke des WMF wie die Flitter-Bühne des MGM Grands zu behandeln. Eher eine gut gemeinte, rührende Parodie, wie Tom Jones ohne Schenkel, Dean Martin ohne Sahnebelag. Ein liebenswertes Vorprogramm.
JENNI ZYLKA
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