stefan kuzmany über Charts: Herr Möllemann bittet zum Interview
Trittbrettfahrer gibt es nicht erst seit den Milzbrand-Attacken. Zum Beispiel Kollegin Olga: Sie täuscht mit Leidenschaft
Die Kollegin war den Tränen nahe. Sie arbeitete jetzt woanders, bei einer Zeitung, die viel mehr Geld bezahlte als diese hier, wo es allerdings auch viel ernster zuging. Wir saßen in einem italienischen Lokal, Mittagszeit, an den Nebentischen speisten Kollegen, die Kollegin schniefte, war außer sich, es war ein wenig peinlich.
Ich will sie mal Olga nennen, denn keinesfalls dürfen Rückschlüsse möglich sein auf ihre wahre Identität, denn Olga hat eine Menge Dreck am Stecken. Olga ist nicht nur eine attraktive junge Frau und für ihr Alter recht erfolgreiche Journalistin. Olga ist passionierte Hereinlegerin. Auch ich hatte oft darunter zu leiden, als wir noch zusammenarbeiteten. Mehrmals bestellte sie mich mit verstellter Stimme ins Büro der Verlagsleitung, es sei dringend, man habe erhebliche Unregelmäßigkeiten in meinen Abrechnungen entdeckt, man müsse darüber sprechen. Das waren peinliche Auftritte. Einmal besichtigten wir auf Einladung eines Bundestagsabgeordneten die damalige Bundeshauptstadt Bonn. In unserem Hotel tagte zufällig die FDP. Ich glaubte, mich endlich rächen zu können, und gaukelte mit verstellter Stimme einen Interviewauftrag vor: Sie solle sofort und dringend Jürgen W. Möllemann zum Gespräch aufsuchen, er warte bereits an der Bar. Was ich leider nicht wusste: Möllemann saß tatsächlich an der Bar, zufällig. Und hatte gar nichts gegen ein Interview. Das Gespräch ist dann auch noch erschienen.
Olga hat mir sogar mal erzählt, wie das angefangen hat mit ihrer Leidenschaft. Sie war sieben Jahre alt, da wollte ihr Onkel sein Auto verkaufen, doch niemand war gewillt, den von ihm verlangten Preis zu bezahlen. Also musste er eine neue Anzeige aufgeben, diesmal mit deutlich reduziertem Verkaufspreis. Endlich meldete sich ein Käufer. Stolz berichtete der Onkel telefonisch Olgas Vater von dem Geschäft. Er sei jetzt doch zufrieden, mehr sei einfach nicht drin gewesen. Kaum war das Gespräch vorbei, griff Olgas Vater erneut zum Hörer, wählte des Onkels Nummer und sagte mit verstellter Stimme: „Ich Türk, du Mercedes.“ Und bot eine sehr hohe Kaufsumme an. Doch der Onkel konnte nicht zugreifen – der Wagen war ja bereits weg. Die Freude des Vaters über die gelungene Täuschung, die Freude auch an der Zerknirschung des Onkels bei der nächsten gemeinsamen Kaffeetafel – das habe sie geprägt, sagt Olga, auch wenn sie im Nachhinein das Diskriminierende an Vaters Scherz verurteile. Jedenfalls: Da habe das bei ihr angefangen.
Und jetzt saß sie mir gegenüber und war den Tränen nahe. „Du erinnerst dich doch an diesen großen Stromausfall letzte Woche?“ Natürlich erinnerte ich mich. Und erinnerte mich auch, dass einige Zeitungen von einem Anschlag geschrieben hatten. Eine „Gruppe Dunkle Sonne und Gerechtigkeitsfreude“ habe sich bekannt. Jetzt war es mir klar. Der bescheuerte Name sagte alles. Das war Olga gewesen.
„Du bist eine Trittbrettfahrerin“, versetzte ich empört. „Das macht man in Anthrax-Zeiten nicht! Aber wovor hast du Angst? Könnten sie dich erwischen?“ Nein, meinte Olga, das sei es gar nicht. Sie habe wie immer keine Spuren hinterlassen: öffentliches Faxgerät, alte Schreibmaschine. Nein, das Schreckliche sei: Ihre Redaktion habe Interesse an der Geschichte. Sie solle recherchieren, wer hinter der „Gruppe Dunkle Sonne und Gerechtigkeitsfreude“ steckt. Ihr Chef sei ganz scharf drauf: Wie viele sind das? Sind die gefährlich? Kennt der Verfassungsschutz die schon? Die Geschichte soll ganz groß kommen, spätestens Montag soll sie fertig sein. „Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte verzweifelt meine alte Kollegin Olga. Ich starrte sie ratlos an. Es hatte sie erwischt, endlich, und sie tat mir sogar Leid.
Doch als Olga meiner Ratlosigkeit ansichtig wurde, funkelten ihre Augen plötzlich. Sie grinste. Mich beschlich das unangenehme Gefühl, einmal mehr aufs Glatteis geführt worden zu sein. „Du hast es geglaubt! Gib’s zu, du hast es geglaubt!“, feixte Olga. Ich log: „Kein Wort“, und verabschiedete mich schnell. Im Büro dann eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter: Ich solle doch mal dringend zur Geschäftsleitung kommen, meine letzte Spesenabrechnung sei ja wohl so nicht zu halten. Dass ich nicht lache!
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