: Die Zeit der Container ist vorbei
■ Bremer Bahnhof wiedereröffnet / Behindertenverbände unzufrieden
Der Himmel gestern Morgen war eindeutig wie für einen Festakt bestellt: knallblau und sonnig. Dazu viele weiße und rote Luftballons: ein munteres, farbenfrohes Herbst-gute-Laune-Bild für den Bahnhof Bremen.
Die zum Eröffnungsfestakt angereiste Prominenz sprach vor allem erstmal „Grußworte“. Bahnchef Hartmut Mehdorn sorgte bei der Gelegenheit aber unfreiwillig für einen Lacher, als er Bremens Senatspräsidenten Henning Scherf (SPD) mit „Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister“ anredete. Ansonsten dankte er artig allen Beteiligten – den Bauarbeitern und den Bahnern „an der Kundenfront“ für die gelungene Zusammenarbeit, und den Reisenden für ihre Geduld. Der Bremer Staatssekretär beim Senator für Wirtschaft und Häfen, Uwe Färber, appellierte an Mehdorn, Bremen auch in Zukunft nicht vom Bahnfernverkehr abzuschneiden. Denn was nütze der schönste Bahnhof, wenn die Reisenden ausblieben, fragte Färber. Immerhin hatte sich Bremen mit 25 Millionen Mark an den Umbaukosten von insgesamt 150 Millionen beteiligt.
Auf dem Bahnhofsvorplatz freuten sich viele BremerInnen über das Ende der dreijährigen Baustellenzeit: Endlich keine „Container-Geschäfte“ mehr auf dem Bahnhofsvorplatz, und drinnen ist es jetzt heller und freundlicher. Um den Bahnhof symbolisch wieder aufschließen zu können, fehlte zunächst der Schlüssel. Begleitet von bombastischen filmmusikartigen Klängen kletterte der Hochseilartist André Weisheit auf ein hoch aufragendes Gerüst und von dort aus weiter an einem Mast in schwindelerregende Höhen, um den Schlüssel aus 67 Metern über der Erde abzuholen. Zu der artistischen Einlage gehörte ein kurzes Trompetensolo hoch oben. Die Köpfe in den Nacken gelegt staunten die BesucherInnen Ahs und Ohs. Beim einarmigen Handstand auf schwankendem „Untergrund“ mit Feuerwerk in der rosaroten DB-Welt wurde es still vor dem Bahnhof.
Drinnen allerdings gab es ein paar Disharmonien: Während ein Kammerensemble lautsprecherverstärkt versuchte, Kaffeehausstimmung zu erzeugen, sang ein rund 15-kehliger Chor vom „Forum Barrierefreies Bremen“ über das fehlende Blindenleitsystem und zu eng konzipierte Aufzüge für RollstuhlfahrerInnen. Später gelang es Anette Paul und Wilhelm Winkelmeier, Hartmut Mehdorn darauf anzusprechen. Er sagte zu, sich darum zu kümmern. Außer in Bremen baut die Bahn noch 14 weitere Bahnhöfe um. Dort könnten die gleichen Fehler vermieden werden.
Auch die Bahnhofsmission stand dem erneuerten Gebäude zwiespältig gegenüber: Zwar freue man sich über die schönen neuen Räume, aber dass die Mission ab kommender Woche kein warmes Essen und keine Kuchenstückchen mehr ausgeben darf, findet keiner in Ordnung. Die Kuchenstücke, die beim Bäcker übrig bleiben, landen demnächst im Müll, statt in hungrigen Mägen (die taz berichtete mehrfach). Dass die große Bahnhofsparty am 9. November stattfand, sah man an den drei Kränzen vor der Bronzetafel am frisch renovierten Gebäude: Sie mahnt zum Erinnren an die vom Bremer Bahnhof aus nach Sachsenhausen und Minsk deportierten Jüdinnen und Juden. aro
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