: Karnevalsgespräche und Koalitionsfeiern
Pünktlich zum Beginn der Koalitionsverhandlungen haben die Jecken gestern das Rote Rathaus erobert und der Wirtschaftssenatorin die Stadtschatulle entwendet. Die Rheinländer unter den Karnevalisten fanden das lustig
Ein Rathaus voller Narren. Schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen von SPD, FDP und den Grünen ist klar: Das Geld ist futsch. Pünktlich um elf Uhr elf übernehmen Prinz Thomas I. und Prinzessin Beatrix I. im rotweißen Narrenornat die Herrschaft im Roten Rathaus. Und die können, ganz im Gegensatz zu Finanzsenatorin Christiane Krajewski (SPD), mit Geld überhaupt nicht umgehen.
Mit vollen Händen werfen sie die goldenen Taler aus der Stadtschatulle zwar nicht aus dem Fenster, aber unters Volk. Zuvor hatte der Narrenprinz vor den Augen einer johlenden Narrenmeute der grünen Wirtschaftssenatorin Juliane von Friesen den Rathausschlüssel entwunden. Und sie dann mit herzhaften Küssen zur Herausgabe der Stadtkasse „überredet“. „Ich bin in die Politik gegangen und im Tollhaus gelandet“, konnte die zierliche Freifrau gerade noch protestieren. Dann stürmten die Narren unter lauten „Berlin heijo“-Rufen den Haupteingang.
Draußen feiert inzwischen eine Gruppe bunt angemalter Damen und Herren im Clownskostüm nach ihrer Façon. „Wir haben mit der organisierten Karnevalsmeierei nichts am Hut.“ Der 49-Jährige mit der feuerroten Lockenperücke feiert lieber „privat“. Mit Verwandten und der Belegschaft seines Sanitätshauses schunkelt er singend um einen Einkaufswagen, der mit Musikanlage und einem 10-Liter-Kölsch-Fässchen ausgestattet ist. „Was die Kölner können, können wir schon lange“, schmunzelt Horst Zeitel und pufft seiner Schwägerrin kumpelhaft in die Seite. „Das ist ’ne echte Könerin, die hat uns alle angesteckt.“
Im Säulensaal des Roten Rathauses drängeln sich indes in funkelnden Kostümen die organisierten Narren. Die Mitglieder der 23 Karnevalsvereine sind bester Stimmung. Man trinkt, schunkelt und demonstriert Einigkeit. Schließlich will man auch in dieser Karnevalssaison wieder einen gemeinsamen Zug organisieren, für den es „schon Anmeldungen aus dem Rheinland“ gibt, wie Manfred Mühlbrett von den „Fidelen Rixdorfern“ betont.
Überhaupt scheint es, als wollten die Narren von der Spree den rheinischen Karneval, so gut es eben geht, kopieren. Für die abendliche Feier im Tränenpalast habe man „sogar“ die Kölner Mundart-Band „De Höhner“ gebucht. Die habe, so Mühlbrett stolz, „noch auf dem Alter Markt“ in der Domstadt gespielt.
Zwar beteuert der Berliner Jeck, das Typische am Spree-Karneval sei „gerade die Mischung“ aus süddeutschem Fasching, rheinischem Karneval und einer Bühnenschau. Doch will man die außerrheinischen Elemente nicht recht entdecken. Selbst beim Tempelhofer Musikzug, der für zünftige Beschallung sorgt, spielt man mangels eigener Kompositionen „nur rheinische Karnevalslieder und die übliche Stimmungsmusik“, so ein Trompeter.
Zu den ganz offensichtlich von geografischer Unkenntnis geprägten Klängen „Es gibt kein Bier in Hawaii“ tritt nun das strahlende Prinzenpaar ans Mikro. Thomas I., der eigentlich Richter heißt und in der PR-Branche tätig ist, verkündet mit Beatrix I., im richtigen Leben Geschäftsführerin einer Produktionsfirma, das Motto ihrer Narrenherrschaft: „Frieden, Freundschaft und Fröhlichkeit“. Die aus der Hauptstadt in die Welt zu senden, war ihnen nach den Ereignissen des 11. September ein Bedürfnis. Von allen Seiten brandet Zustimmung: „Narren an der Spree – olé, olé, olé.“
Eddi Braun, Karnevalsurgestein und Vorsitzender des Festkomitees, dem die Wahl des Prinzenpaars obliegt, sieht nach dem gestrigen Saisonauftakt die Zukunft des Berliner Karnevals optimistisch. Die Zahl der Interessierten steige stetig. Nicht zuletzt wegen der Exil-Rheinländer, die sich „wunderbar“ in die Vereine integrierten. Die bräuchten jetzt nicht mehr nach Hause zu fahren. Schließlich habe man inzwischen in Berlin alles, „was es auch in Köln gibt“.
Vor dem Rathaus hat sich die Menge aufgelöst. An die 400 Narren und Schaulustige sollen es nach Schätzung eines Ordners gewesen sein. Nur Horst Zeitel und seine Kollegen stehen immer noch schunkelnd um den Einkaufswagen. Die Berliner Jecken wollen das Lied zu Ende hören, bevor es zum „Weiterfeiern“ in die Firma geht. Aus der Anlage dudelt: „Mer lasse de Dom in Kölle.“ BETTINA FICHTNER
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