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wahlkampf mit geisterbahn

von RALF SOTSCHECK

Was tut man nicht alles, um wiedergewählt zu werden. Irlands Regierungspartei Fianna Fáil, die „Soldaten des Schicksals“, setzt im Vorwahlkampf eine Straßenbahn ein. „Luas“ heißt das Transportmittel, weil das moderner klingt als „Tram“. In der vergangenen Woche wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt: Vor dem Regierungsgebäude am Merrion Square hatte man 30 Meter Schienen verlegt und einen Waggon aus Frankreich darauf gestellt. Premierminister Bertie Ahern und seine Ministerin für öffentliche Unternehmen, Mary O’Rourke, ließen sich freudestrahlend davor ablichten.

Das ist O’Rourkes neues Hobby. Im Juni ist derselbe Waggon bereits in London ausgestellt worden, O’Rourke war eigens dafür angereist und ließ sich neben dem schweren Gerät fotografieren. Niemand würde sich wundern, wenn sie die Bahn auf einen Lkw schnallte und damit im ganzen Land herumkurvte – mit einem Fotografen, versteht sich. Mehr als ein fotogenes Spielzeug ist die Bahn ohnehin nicht: Da Fianna Fáil den Bau der Schienen seit drei Jahren verzögert, werden die ersten Passagiere frühestens in zwei Jahren einsteigen können. Aber nicht am Merrion Square, denn der liegt nicht an der Strecke. Die dreitägige Ausstellung kostete die Steuerzahler mehr als 60.000 Mark.

Dem Koalitionspartner, den überhaupt nicht Progressiven Demokraten (PD), hatte man von dem Werbetrick mit der Geisterbahn nichts verraten. Sie staunten, als vor dem Regierungsgebäude plötzlich Schienen gelegt wurden. Sobald sie von den Fenstern ihrer Amtszimmer den Premierminister sahen, der die Straßenbahn feierlich enthüllte, ging ihnen das Licht auf, hinter das sie geführt worden waren. Mary Harney, PD-Chefin und stellvertretende Premierministerin, verweigert seitdem jeden Kommentar.

Ganz im Gegensatz zur Opposition. Es sei, als ob man der Bevölkerung Telefone schenkt, aber die Leitungen erst in ferner Zukunft legt, moserte Olivia Mitchell von Fine Gael. Sie sprach von einem „Meilenstein in den Jahrbüchern politischer Kartentricks“. Emmet Stagg von der Labour Party bezeichnete die Straßenbahnshow als „verblüffendstes Fotokunststückchen in der Geschichte der irischen Politik“. Er forderte O’Rourkes Hinauswurf.

Aber Fianna Fáil ist loyal. Bei jedem neuen Projekt springen ein paar nette Jobs für die Parteigenossen heraus. Eamon Brady hat einen davon ergattert, er ist „Luas“-Informationsbeamter und entsprechend stolz auf seinen Schützling. „Den Leuten gefallen die hübschen Polster der neuen Straßenbahn“, sagt er. In Wirklichkeit hat die Regierung mit öffentlichem Nahverkehr wenig im Sinn. Lediglich 25 Kilometer Schienen werden in absehbarer Zukunft gebaut, aber 750 Kilometer Autobahn. Und die Straßenbahn, die Fianna Fáil dem Stimmvieh als „Lösung des 21. Jahrhunderts“ für die enormen Verkehrsprobleme der irischen Hauptstadt verkaufen will, ist nicht gerade eine brandneue Idee: Vor 50 Jahren hatte Dublin ein dichtes Straßenbahnnetz, das die Vororte mit der Innenstadt verband. Es ist von Fianna Fáil Schiene um Schiene demontiert worden.

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