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Im Kampf gegen Spiegelbilder

Der Islam ist nicht die Lösung, aber auch nicht das eigentliche Problem: Den islamistischen Fundamentalismus und manche seiner westlichen Kritiker verbindet mehr, als ihnen bewusst ist – der Glaube an eine unwandelbare Essenz der Religion

Der Islamismus ist zuweilen die einzige Opposition gegen den autoritären Staat

von DANIEL BAX

Geradezu gebetsmühlenhaft wurde seit dem 11. September von allen Seiten betont, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Ungeachtet dieser Formel jedoch avancierte der Koran in deutschen Buchhandlungen just von diesem Tag an zum Verkaufsschlager, wie auch alle möglichen Ratgeber zum Thema Islam. Entweder also die Leute sind schwerhörig, oder sie wollen sich ein eigenes Bild machen.

Mit gutem Grund, denn dass der gegenwärtige Konflikt doch etwas mit dem Islam zu tun hat, ist eigentlich offensichtlich. Dafür spricht nicht nur die Ideologie der Attentäter, die sich vom Koran inspiriert sahen, was immer sie für sich auch daraus gemacht haben. Dafür spricht auch der Anklang, den Bin Ladens Kulturkampf-Rhetorik in der islamischen Welt gefunden hat. Natürlich taugt der Koran nicht, um den Terror zu erklären – genauso wenig, wie sich Inquisition und die Kreuzzüge zwingend aus der Bibel ergeben. Doch wer sagt, die jüngsten Geschehnisse hätten nichts mit dem Islam zu tun, legt nahe, es gebe irgendwo einen entrückten, „wahren Islam“, jenseits von politischem Raum und historischer Zeit. Gläubige dürfen so etwas glauben, Politiker sagen. Für Soziologen und Kulturwissenschaftler kommt es einer Bankrotterklärung nahe.

Kürzlich hat Salman Rushdie, der so seine eigenen Erfahrungen mit islamistischem Terror gemacht hat, in der New York Times den Finger auf die Wunde gelegt. Der gegenwärtige Krieg habe sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun, befand er: Dass Muslime den Angriff auf Afghanistan für einen Kreuzzug des Westens hielten, spreche zumindest für ein „verstümmeltes, halb gares Islam-Verständnis unter manchen seiner Anhänger“, so Rushdie. Deren Islam sei zwar bloß „ein Konglomerat von Bräuchen und Ressentiments“, das von interessierter Seite leicht zu instrumentalisieren sei. Leider aber sei dieser „paranoide Islam“ die gegenwärtig am stärksten wachsende Form der Religion, fürchtet er. Ihr müsse Widerstand entgegengebracht werden, im Westen und in der islamischen Welt.

Besonders wehrhaft zeigt sich diesbezüglich in seiner jüngsten Ausgabe die Monatszeitschrift Merkur. Sie hat eine Polemik nachgedruckt, mit der Siegfried Kohlhammer schon vor sechs Jahren mit den so genannten „Freunden des Islam“ ins Gericht ging. Er warf damals jenen Stimmen, die beständig vor einem „Feindbild Islam“ warnen, vor, sie würden die reale Gefahr des Islamismus verharmlosen. Denn dieser Fundamentalismus sei zwar nicht gleichzusetzen mit der Religion. Er sei aber eine aggressive politische Bewegung, der mit feiger Appeasement-Politik nicht beizukommen sei.

Das mag richtig sein. Doch wie schnell bei einer Kritik des Islamismus das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden kann, das führt im gleichen Heft der Merkur-Herausgeber Karl-Heinz Bohrer eindrucksvoll vor. In seinem Vorwort zieht er eine direkte Linie von den Terroristen zu der Religion, für die diese sich zu opfern glaubten. „Der Islam ist eine unaufgeklärt gebliebene, frühmittelalterliche Religion, die periodisch aggressiv ausbricht, vergleichbar in seinen zivilisatorischen Defiziten mit der spanischen Kirche zur Zeit der Inquisition, deren Folgen bis zum faschistoiden Franco-Regime reichen“, erklärt sich Bohrer die Ursachen des Terrors. Das steht da wirklich so! Man muss Bohrer fast dankbar sein, dass er in einem einzigen Absatz noch einmal das ganze Arsenal an Vorurteilen und Stereotypen gegen einen angeblich unwandelbaren und unverbesserlichen, so monolithischen wie rückständigen Orient zum Ausdruck bringt, deren intellektuelle Verdichtung Edward Said einmal als „Orientalismus“ klassifiziert hat. Denn es verweist auf die Kluft, die zwischen dem ritualisierten Abstreiten eines Generalverdachts gegen Muslime und einer verbreiteten Unsicherheit ihrem Glauben gegenüber besteht. Dünn ist da der Firnis der Höflichkeit.

Doch es ist schon erstaunlich, wie schnell auch bei kühlen und rationalen Köpfen die bewährten Maßstäbe der Beurteilung sozialer Phänomene verrutschen, wenn es um den Islam geht, zugunsten der Mystifikation. Es lohnt daher, sich den Unterschied zwischen der Argumentation von Rushdie und der von Bohrer zu vergegenwärtigen. Rushdie spricht nicht von der Religion insgesamt (obschon gerade „Die Satanischen Verse“, sein Roman, der ihm so viel Ärger einbrachte, auch eine Kritik der religiösen Überlieferung enthielt), sondern von der Art, wie sie verstanden wird, und fragt, warum Paranoia und Ressentiment in der islamischen Welt so verbreitet sind.

Mag sein, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Toleranz ist, wie gerne betont wird – aber das, was manche Muslime aus ihm machen, spricht eine andere Sprache. Nur, inwieweit sind ihre Handlungen dem Koran geschuldet? Aus dem, was für Muslime als Gottes Wort gilt, eine Anleitung zum Selbstmordattentat herzuleiten, ist eine, gelinde gesagt, gewagte Auslegung. Dass sie überhaupt Anhänger gefunden hat, ist ohne den politischen Kontext im Nahen Osten nicht zu verstehen. Seinem ganz überwiegend geteilten Verständnis nach verbietet der Koran den Selbstmord und erlaubt Gewalt lediglich im Kriegsfall und zur Selbstverteidigung – schon gar nicht dürfen Unbeteiligte, Frauen und Kinder dabei zu Opfern gemacht werden. Dass sich die Attentäter vom 11. September über solche Erwägungen willkürlich hinweggesetzt haben, ist ein Zeichen ihrer Hybris, mit der sie sich von den moralischen Normen ihrer Umgebung entfernt haben, um einem höheren Ziel zu dienen.

Andererseits aber kommt kein Terrorismus ohne symphatisierendes Umfeld aus, mit dem er grundsätzliche Werte und Vorstellungen teilt, und von dem er sich nur in der Wahl der Mittel radikal absetzt. Dieses Umfeld ist der Islamismus, der seine moderaten und extremistischen Ausprägungen kennt und dem es, neutral gesprochen, um eine stärkere Ausrichtung der islamischen Gesellschaften nach den Grundsätzen des Korans geht. Ein zentrales Augenmerk des Korans gilt der sozialen Gerechtigkeit, was in den desolaten Ökonomien der islamischen Dritten Welt einen großen Teil der Anziehungskraft populistischer Verführer und radikaler Einheizer erklärt. Deren Bewegungen sind oft die direkten Erben der linken Gruppen geworden, die bis in die 70er-Jahre an den arabischen Universitäten die Diskurshoheit besaßen, und ihr Rekurs auf den Koran verfängt verständlicherweise gut bei Menschen, die diese Schrift, im Unterschied zum „Kapital“, ohnehin schon auf dem Nachttisch haben. Der relative Erfolg des Islamismus beruht auch nicht auf einer diffusen Ablehnung der Moderne, sondern darauf, dass diese ihre Glücksversprechen nicht einzulösen vermochte. Dass der Islam „keine Aufklärung kennt“, ist in diesem Zusammenhang ein ziemlicher Nullsatz. Bekanntlich musste die Aufklärung auch in Europa erst gegen die Kirche durchgesetzt werden. Dass sie in Gestalt des Kolonialismus in den Rest der Welt exportiert wurde, hat dort vielerorts zu einer gewissen Skepsis geführt gegenüber einem Universalismus, der gerne mit handfesten Machtinteressen einhergeht.

Aber auch wenn man von solchen Irritationen absieht, kann die Frage, ob die Religion einen zivilisierenden oder gar einen brutalisierenden Effekt hat, nur im Zusammenhang mit anderen Variablen betrachtet werden. Es wäre falsch, dabei nicht auch auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu verweisen: etwa auf die Rolle, die das Öl bei der Stabilisierung autoritärer Regimes spielt. Es ist kein Zufall, dass islamische Länder wie die Türkei, der Libanon oder Tunesien, die weniger vom Öl als von der Warenproduktion leben, auch das fortschrittlichere Gesicht haben.

Wer alles nur auf die eine Frage der Religion reduziert, bewegt sich, das ist die Ironie, analog zur Argumentation der Fundamentalisten. Während die einen propagieren, der Islam sei die Lösung aller Fragen, konstatieren die anderen, im Islam liege das eigentliche Problem. Diese Festlegung auf ihre muslimische Identität bringt aber vor allem jene säkularen und liberalen Kräfte in die Zwickmühle, denen es jenseits solcher kulturanthropologischer Finessen um eine Stärkung von Demokratie und Menschenrechten in ihren Ländern geht. Es ist deswegen mehr als nur ein Lapsus, sondern einfach fatal, solche Kräfte leichthin als „verwestlichte Eliten“ abzutun, weil man ihnen damit quasi den Boden entzieht.

Wenn aber, wie es in vielen arabischen Ländern derzeit der Fall ist, der Islamismus die stärkste und zuweilen einzige Opposition gegen einen autoritären und korrupten Staat darstellt, dann fällt es dem Westen schwer, sich dazu moralisch richtig zu verhalten. Meist ist ihm der Despot in westlicher Uniform näher als dessen islamistischer Gegenspieler, der demokratische Prinzipien einfordert. Auf den verhinderten Wahlsieg der Islamischen Heilsfront in Algerien 1992 war die Reaktion genauso wie auf den kalten Putsch des Militärs gegen die Islamisten 1997 in der Türkei: ratlos. Denn die Entscheidung gegen den Islamismus bedeutet zuweilen auch eine Entscheidung gegen die Demokratie.

Vor diesem Dilemma hilft die Flucht ins einfache Denken. Dessen Manifest ist Samuel Huntingtons Bestseller vom „Kampf der Kulturen“, der die politischen Großkonflikte der Zukunft an kulturellen Differenzen entzünden sah. Huntington plädierte für das Prinzip der Enthaltung, also gegen Interventionen der USA zur Durchsetzung universalistischer Prinzipien. Er nennt es „Verblasenheit“, fremden Völkern westliche Freiheit und Demokratie beibringen zu wollen, und betreibt damit eine nachdrückliche Apologetik autoritärer Regimes in der Region: Die Saudis und die Taliban sind eben so – mischen wir uns also besser nicht in ihre inneren Angelegenheiten ein, solange sie uns nicht schaden. Man könnte das auch Appeasement nennen, aber bis zum 11. September war es lediglich Machtkalkül.

Das Gegenstück zum angeblich drohenden „Kampf der Kulturen“, den zu vermeiden Huntington sich ja gerade aufgerufen fühlte, ist natürlich der viel beschworene „Dialog der Kulturen“, dessen Chor in nächster Zeit sicher wieder gewaltig anschwellen wird. Aber er ist nur die Kehrseite der gleichen Münze, denn er gehorcht der gleichen Logik, die im anderen immer nur das andere sieht. Dabei ist es nur ein Spiegelbild.

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