: Die Taliban-Fronten wanken
Die Nordallianz erobert mehrere Provinzen und ist weiter auf dem Vormarsch. Bin Laden droht in einem Interview mit atomaren und chemischen Waffen. Er wird laufend über die Kämpfe informiert
DELHI taz ■ Die Eroberung von Masar-i Scharif durch die Nordallianz hat zumindest im Norden Afghanistans das ausgelöst, was die vierwöchigen Luftangriffe allein nicht erreichen konnten: Sie bringen die Taliban-Fronten ins Wanken.
Bereits am Samstag erklärten die Islamschüler laut der pakistanischen Agentur AIP einen „taktischen“ Rückzug aus den Provinzen Samangan und Jozjan, sodass ihnen nur noch der Weg nach Süden offen bleibt. Die Nordallianz dirigierte am gleichen Tag ihre Verbände nach Osten, wo es darum geht, die Verbindungen in den Norden nach Tadschikistan und südlich ins Panschirgebiet zu sichern. Am Sonntagabend berichtete AIP, dass die Provinz Takhar mit dem Hauptort Taloqan gefallen sei und dass in der zwischen Takhar und Masar gelegenen Provinz Kunduz der wichtige Grenzort Imam Sahib ebenfalls in den Händen der Allianz sei.
Von noch größerer strategischer Wichtigkeit ist die heftig umkämpfte Provinz Baghlan südlich von Kunduz. Die Nord-Süd-Verbindung nach Kabul über den Shibarpass läuft durch diese Provinz. Der Shibarpass berührt auch die Provinz Bamiyan, wo die Allianz für die nächsten Tage eine Offensive angekündigt hat, um den abziehenden Taliban den Durchgang zu erschweren. Deren Versuch, die Verbände aus dem Norden möglichst rasch und intakt nach Kabul zu lotsen, könnte ihnen auch von den Stellungen der Allianz in Jabal Seraj nördlich der Hauptstadt erschwert werden, falls sie überhaupt so weit kommen. Der Fall von Masar wird zweifellos auch diese wichtigste Frontlinie in Bewegung bringen.
Die Frage ist, wie Ussama Bin Laden auf das Einbrechen der Taliban-Stellungen reagieren wird. Der pakistanische Journalist Amir Mir, der Mittwochnacht ein Aufsehen erregendes Interview mit Bin Laden geführt hatte, erklärte, dieser sei während des Gesprächs immer wieder per Satellitentelefon über die Ereignisse an den verschiedenen Fronten informiert worden. Im Interview drohte der Saudi mit atomaren oder chemischen Waffen, falls die USA solche gegen ihn einsetzen sollten. Er bekannte sich ein weiteres Mal nicht zu den Attentaten vom 11. September, rechtfertigte diese jedoch, einschließlich des Todes von unschuldigen Zivilisten, selbst wenn diese Muslime seien. Erstmals ließ er sich aber zum Eingeständnis herbei, dass es im Westen auch „unschuldige und gute Menschen“ gebe.
Pakistans Präsident Musharraf reagierte skeptisch auf die Aussage, Bin Laden verfüge über Miniatombomben; er schloss aber einen Zugang zu chemischen Waffen nicht aus. Präsident Bush sagte, er wisse nicht, was er glauben solle, er wisse nur, dass Bin Laden ein grundböser Mensch sei. BERNARD IMHASLY
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