: Wo der Schuh drückt
Kinderschuhe passen oft nicht. Daran sind aber nicht die Eltern, sondern die Schuhbranche selber schuld, meint ■ Kaija Kutter
Wenn in diesen Tagen der Winter beginnt, müssen Eltern eine logistische Glanzleistung vollbringen: passende Schuhe für ihre Kinder parat haben. Denn jede neue Jahreszeit bedeutet zwangsläufig auch Modellwechsel im Familienschuhschrank, und Kinderfüße wachsen zwei bis drei Nummern pro Jahr. Ausgeschlossen, dass die teuren Stiefel vom Vorjahr noch passen. Auch das praktische Vererben an jüngere Geschwister ist tabu: Jedes Fußbett wird schließlich durch den Vornutzer schon nach kurzem Tragen verformt. Nur bis zu den Altkleider-Sammlern für arme Länder – die auch Kinderschuhe anfordern – ist diese Problematik noch nicht vorgedrungen.
Großeltern raten gemeinhin: „An Schuhen soll man nicht sparen.“ Lammfromm blättern die so ermahnten Eltern ohne zögern für die mindestens acht mal im Jahr fälligen Neukäufe (Halbschuhe im Frühling, Sandalen im Sommer, Halbschuhe im Herbst, Winterschuhe, zwei mal Gummistiefel, zwei mal Hausschuhe) blaue Scheine hin. Kindergeld ist Schuhgeld, ist schon ok. Das Problem ist nur: nicht jeder, der Schuhe kaufen möchte, bekommt sie auch.
Diesen Kontext verschwieg der Kinderschuh-Hersteller „Elefanten“, als er kürzlich wieder einmal die Eltern an den Pranger stellte. Bei einer Messung von 405 Kinderfußpaaren in acht Kindergärten stellte die süddeutsche Firma fest, das über 60 Prozent der Schuhe nicht passten. 26 Prozent waren eine, 10 Prozent sogar zwei Nummern zu klein. Jeder fünfte Schuh dagegen war zu groß.
In einer eigens herausgegebenen Presseerklärung spricht die „Elefanten GmbH“ von einer „Schlüsselrolle“ der Fußgesundheit und wartet mit einer langen Liste möglicher Folgeschäden auf. Mindestens alle drei Monate, so mahnt sie, sollten Kinderfüße im Laden gemessen werden. Auch sollten Eltern das von „Elefanten“ bereits 1974 entwickelte Weite-Mess-System (WMS) nutzen. Denn Kinderschuhe können in der Breite falsch sein. 50 Prozent der Jungen brauchen eigentlich etxra breite Schuhe, andere extra schmale.
Wo es so viel falsch zu machen gibt, braucht es geschultes Personal. Doch dies ist nur in den nobleren Schuhläden und auch dort nicht ausreichend vorhanden. Bei einer bekannten Hamburger Schuhkette kann eine Kundin in der Kinderabteilung schon mal 40 Minuten warten, ohne von den VerkäuferInnen auch nur einen Blick zu erhaschen. „Schade, dass es hier nicht wie bei Behörden ein Nummernsystem gibt“, mag sich manche Mutter schon gedacht haben, die mit dem quengeligen Nachwuchs frustriert wieder abzog, nachdem die ins Geschäft integrierte Rutsche abgespielt war. Andernorts hat frau nach 20 Minuten Wartezeit durchaus die Chance, mit einem selber ausgewählten Schuh und dem Satz „könnten sie mir dazu den zweiten holen“ Gehör zu finden. Nur mit einem zur Kasse zu gehen, wäre blöd. Allerdings haben diese Läden mit meist günstigerem Sortiment weder WMS-Systen noch Personal, dass zu eingehender Beratung bereit ist – und viel Synthetik.
Ganz liebevoll behandelt werden elterliche Kunden hingegen in kleineren Läden, die noch keiner großen Kette angehören. Doch auch hier werden Kunden ohne Ware wieder weggeschickt. Der Satz „Da müssen sie woanders suchen. Ich mag ihren Kind keinen Schuh verkaufen, der noch irgendwo drückt“, gehört durchaus zum Berufsethos. Antworten wie „das könnte sich doch noch weiten ...mit der Zeit“, würden Sie nur als orthopädische Ignorantin outen. Gängig auch die Auskunft „da komm–sie zu spät, da haben wir gar nichts mehr da“. Winterschuhe zum Beispiel im November, Sandalen im Mai oder Hausschuhe für den Kindergarten nach den großen Ferien.
Aus Erfahrung klug ziehen Eltern deshalb schon Anfang Oktober los, um die wasserdichten Winter-Boots für den ersten Schnee zu sichern, auch wenn der erst im Februar fällt.
Es wäre vielleicht alles einfacher, wenn es bei Kinderschuhen keine Mode gäbe und es für Ladenbesitzer kein Risiko darstellte, einfach immer für jede Jahreszeit in jeder Weite und Größe ausreichend Schuhe vorrätig zu haben.
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