: Sparen ist nicht zeitgemäß
Europäische Wirtschaftsforscher schrauben ihre Konjunkturprognose in gemeinsamem Gutachten weiter herunter. Euro-Wirtschaft schrumpft im 4. Quartal 2001. Und die Arbeitslosigkeit steigt an
von BEATE WILLMS
Die alte Weisheit, dass zu viele Köche den Brei verderben, wollte Gustav Adolf Horn nicht gelten lassen. Jedenfalls nicht für die Gemeinschaftsprognose acht führender europäischer Wirtschaftsforschungsinstitute. „Je mehr Daten kommen, desto klarer werden die Folgen des 11. September“, sagte der Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), als er das Gutachten über die Wirtschaftsentwicklung 2001/2002 gestern in Berlin vorstellte. Bei den Empfehlungen für die Politik konnte er es sich aber nicht verkneifen, darauf zu verweisen, dass es sich um „Kompromissformeln“ handle. Immerhin sollte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sich auch die ganz genau ansehen: Die Institute warnen vor prozyklischem Handeln. Im Klartext: Auch wenn die Neuverschuldung durch weitere Faktoren steigen sollte, sind neue Sparmaßnahmen tabu.
Dabei sehen die Institute sogar eine „relativ große“ Gefahr, dass „das eine oder andere Land“ die drei Prozent Staatsdefizit, die der Maastricht-Vertrag als Obergrenze setzt, überschreitet. Ohnehin wird Deutschland im kommenden Jahr nach Einschätzung der Gutachter mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent im Euro-Raum ganz hinten anstehen. Durchschnittlich sollen die Länder 2002 um 1,6 Prozent zu legen. Die deutschen Wirtschaftsforscher hatten in ihrem Herbstgutachten noch 1,8 Prozent erwartet. Verantwortlich dafür ist vor allem das weltwirtschaftliche Umfeld: Die USA befinden sich bereits in einer Rezession. In Japan ist die Lage noch ungünstiger. Dort fallen Produktion und Preise, während die Staatsverschuldung extrem hoch ist.
Für das vierte Quartal diesen Jahres erwartet Horn, dass das Bruttoinlandsprodukt europaweit schrumpft. Dass es auch in Euroland zu einer Rezession kommt, erwarten die Forscher jedoch zunächst nicht – es sei denn, es gebe neue Terroranschläge, die Ölversorgung aus dem Mittleren Osten werde gestört oder die bisherigen geldpolitischen Maßnahmen griffen später als erwartet. „Die Risiken sind ausgeprägt“, fasste Horn zusammen. Für den Arbeitsmarkt bedeuten schon die erwarteten Stagnationsphasen nichts Gutes. Im Euroraum wird die Arbeitslosenrate im nächsten Jahr um 0,3, in Deutschland sogar um 0,4 Prozentpunkte steigen.
Zur Lösung setzen die Institute, zu denen neben dem eher sozialdemokratisch orientierten DIW als zweites deutsches auch das als neoliberal geltende Institut für Weltwirtschaft in Kiel gehört, in erster Linie auf die Geldpolitik. Die Europäische Zentralbank müsse ihre inzwischen expansive Linie weiterführen, heißt es: Wenn die Konjunktur schlechter wird als erwartet oder der Euro stark aufwertet, müssen die Zinsen weiter runter. In der Finanzpolitik einigten sich die Experten lediglich auf die Empfehlung an die Regierungen, sich neutral zu verhalten, die Konjunktur also nicht durch neue Sparideen zur Defizitdeckung weiter abzuwürgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen