: Kartoffeljournalist weg
■ Morgen im „Toten Salon“: Autor Frank Schulz mit seinem neuen 750-Seiter
Er macht es seinen Lesern nun wirklich nicht leicht, ihn zu mögen: Ein 750 Seiten Roman mit dem kryptischen Titel „Morbus fonticuli“! Eher labyrinthisch konstruiert, oft fragt man sich, warum wir da gerade was über wen erfahren, dazu noch mit so vielen Fremd- und Fachwörtern vollgestopft, dass der Roman am Schluß ein Glossar mit dem Titel „Lexikon für Laien“ zwingend nötig machte.
Dieser Frank Schulz schreibt nicht gerade leserfreundlich. In seinem ersten Buch „Kolks blonde Bräute“ (damit sind seine Biere gemeint) hat er zudem noch fast alle Gespräche lallend-lautmalerisch aufgeschrieben: „Hä, hä, yaw zu dehm Tehma kannich aso du haßd daß leddßde Mahl zu mir gesahgd daßdaß ja ganß nedd wehre wenndaß imma so außgewohgn wehre wie bei aso bei mir kannich nuhr sahgn....usw“.
Das liest sich mühsam, auch wenn es witzig ist. Und dann lacht man plötzlich doch laut auf, etwa wenn aus einem „Guten Abend“ genau zugehört und mitgeschrieben „Nahmp!“ wird. Dann zappelt man schon an Frank Schulz– Angel. Man mag sich beim Lesen immernoch ärgern und ist manchmal gar versucht, ein paar Seiten zu überspringen, aber weiß man, ob nicht gerade dort wieder solch ein wunderbares Kneipengelaber oder Redaktionspalaver zu lesen ist, wie es Frank Schulz so genau , komisch und gnadenlos in Literatur verwandeln kann, dass man mehr als einmal an die „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ des frühen Eckhard Henscheid erinnert wird?
An einer Trilogie arbeitet Schulz ja auch. „Kolks blonde Bräute“ entstand 1991 als Teil I der „Hagener Trilogie“. Für den zweiten Teil „Morbus fonticuli“ hat er also zehn Jahre gebraucht – kein Wunder, dass er so überladen daherkommt. In beiden Romanen wird von einer Clique von Freunden erzählt, die in Hamburg und um Hamburg herum leben, trinken, und bannich dumm Tüch schnakken.
Im Mittelpunkt des ersten Buchs stehen der Briefträger Kolk und seine Alkoholikerkarriere, der Erzähler von „Kolks blonde Bräute“ Bodo Morten wird im zweiten Buch zur Hauptperson.
Auch hier wird eine existentielle Krise beschrieben (Schulz schreibt zwar so komisch wie nur wenige in Deutschland, ist aber alles andere als ein literarischer Komiker), denn der 38 Jahre alte Morten, ein „Kartoffeljournalist in der südelbischen Provinz“ verschwindet plötzlich, son daß Freunde, Ehefrau und heimliche Geliebte ihn suchen, und in seinem geheimen Unterschlupf drei Tagebücher finden, aus denen wir dann (zu) erfahren (hoffen), warum sich Morten schließlich ein befestigtes Versteck im Wald baut und dort halbnackt haust.
Am besten kann Schulz dabei den „laufenden Schwachsinn“ beschreiben: Für die von ihm beschriebenen Szenen in den Redaktionsräumen des Hamburger Anzeigenblättchens „Elbe Echo“, bei der Wahl der Schönheitskönigin „Miss Süderelbe“ oder bei einer völlig aus dem Ruder laufenden Familienfeier verzeiht man Schulz vieles. Etwa die von Morten/Schulz selbst erfundene „Fontanellenkrankheit“, an der Morten zwar akut, aber angeblich auch die ganze Menschheit leidet.
Für diese hat Schulz viel Fachliteratur gewälzt, sie treibt den Ich-Erzähler in seinen „Begriffs-Wahn“ und sie soll auch die offene, assoziative Textkonstruktion erklären. Aber mehr als ein banales: „Das Leben selbst ist eine Krankheit“ ist Schulz damit nicht gelungen.
Dafür behält man einige von ihm beschriebene Menschen noch lange im Gedächtnis, nachdem man das Buch beendet hat. Etwa die auf grandiose Weise dumme „Exfloristin“ Bärbel mit ihrem „Kulthintern“, den Gärtner Fredi, mit seiner todtraurigen Liebesgeschichte und den Chefredakteur des „Elbe Echos“ Eugen von Groblock, der das Leben ewig bekifft und mit knochentrockenen Sprüchen souverän bewältigt. Mit diesem wunderbar beschriebenen Personal steckt ein großer Roman in „Morbus fonticuli“. Der Leser muß ihn sich nur selber etwas mühsam zusammensuchen. Wilfried Hippen
Frank Schulz ist morgen abend um 20 Uhr Gast im „Toten Salon“ im Kulturzentrum Schlachthof. Seine Texte werden flankiert von denen Rayk Wielands (konkret, taz etc.) und Gerhard Henschels (Titanic, taz etc.)
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