: Verteidigung der Mohrrüben
Im Schützengraben liegend, einen Feind gegenüber, der ein riesiger Hase sein könnte oder aber auch ein alter Autoreifen: Ein Brief an die Liebste, die zu Hause wartet
Liebe Braut, ich liege hier still im Felde und sehe dem Blinken der Sterne zu. Sie blinken nur für uns, und das tröstet mich, denn im Graben ist es kalt und feucht. Der Volksempfänger spielt Landsermusik, gewünscht für uns von den Lieben daheim, und ich habe die Hosen gestrichen voll. Eine Zeit lang ist’s so wenigstens warm und weich, und ich sehe dich vor mir, wie du mich anlächelst und ganz schnell die Hosen waschen wirst, wenn ich wieder bei dir in Halskratzhinterfotzmackenreuth bin.
Das wird länger dauern, denn der zähe Feind ist noch längst nicht besiegt und lauert unheimlich im Dunkeln. Der Obermaat meint, es sei ein riesiger Hase, der unsrem geliebten Vaterland die Mohrrüben wegfrisst, die wir für unser Volkswohl so nötig haben und auch gut für die Augen sind. Apropos „gut für die Augen“: Keiner von uns hat den Feind bisher gesehen, und die wildesten Gerüchte machen die Runde: Die einen sagen, er sei gar kein Hase, sondern ein alter Autoreifen, die anderen behaupten gar, es gebe überhaupt keinen Feind und wir seien spätestens nächsten Winter wieder daheim. Ich mag das kaum glauben – das wäre ja bereits in 11 Monaten!
Egal wann es sein wird: Irgendwann – sollte ich diesen schrecklichen Krieg überleben – werde ich wieder in meinem geliebten Halskratzhinterfotzmackenreuth sein und dich, mein keusches Blondchen, in meine starken Arme schließen. Oder besser in die starken Beine – habe ich dir berichtet, dass ich bei einem Schießunfall beide Arme verloren habe? Sie gaben mir trotzdem keinen Heimaturlaub – wir brauchen jeden Mann!
Der Obermaat hat gesagt, dass der Hase jederzeit angreifen und die Mohrrüben stehlen könnte. Soll er nur kommen, wir sind bestens präpariert: Das ganze Rübenfeld ist mit einem System von Gräben durchzogen – da haben unsere Pioniere prächtige Arbeit geleistet! Ich muss jetzt leider schließen, meine Liebe, denn mein Blut, mit dem ich dir schreibe, versiegt und neues muss sich erst bilden. Ich werde in der Kombüse fragen, ob man mir Schnitten mit Nusskrem gibt – dann geht es schneller.
Meine Braut, mein Dörchen, grüße mir auch die Trude recht herzlich, Jacobus, Ernst-Wilhelm sowie Herrn Steiner vom Telegrafenamt. Und natürlich unser schönes Halskratzhinterfotzmackenreuth! In tiefer Verehrung – dein Roderich! ULI HANNEMANN
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