: „Grundsätzliche Veränderungen nötig“
Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bundes, erwartet von der neuen Landesregierung einen Kurswechsel in der Integrationspolitik: Besonderen Handlungsbedarf sieht er bei Einbürgerung, Kitas, Schulen und beim Islamunterricht
taz: Herr Cinar, welche Hoffnungen verbindet der Türkische Bund mit der neuen Landesregierung?
Safter Cinar: Wir hoffen auf eine sehr grundsätzliche Veränderung: Dass die Regierung der Bevölkerung endlich signalisiert, dass Migration keine Gefahr für die Gesellschaft bedeutet, sondern im Gegenteil, dass man eine gesteuerte Migration will. Das war unter der Großen Koalition nicht so.
Was sind Ihre Hauptforderungen an die neue Regierung?
Ein wichtiger Punkt ist die Einbürgerung. Wir wollen, dass Berlin endlich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, die ein Bundesland hat, die Verfahren erleichtert und die Leute motiviert, sich einbürgern zu lassen. In Berlin sind seit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht die Einbürgerungszahlen zurückgegangen anstatt zu steigen. Ganz wichtig ist natürlich auch der Bildungsbereich. Da müssen Maßnahmen entwickelt werden, damit Kinder vor der Einschulung entsprechende Sprachkompetenz erwerben.
Welche Maßnahmen fordern Sie?
80 Prozent der türkischen Kinder besuchen die Kita, daran liegt es also nicht. Bislang ist es aber gar nicht die Aufgabe der Kitas, Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache Deutsch beizubringen. Da muss in der Aus- und Fortbildung viel getan werden, damit die Erzieherinnen und Erzieher in der Lage sind, diese Aufgabe zu erfüllen. In der Schule muss sich das natürlich fortsetzen.
Was muss dort passieren?
In der Diskussion sind die so genannten Schuleinzugsbereiche. Es wäre falsch, sie völlig abzuschaffen, denn dann würde es eine soziale und eine ethnische Aufteilung der Grundschulkinder geben.
Die gibt es aber jetzt schon. Sehen Sie keinen Handlungsbedarf?
Doch, die jetzigen Schuleinzugsbereiche sind eindeutig zu eng, die muss man erweitern. Eine gewisse innerbezirkliche Mobilität wäre sicherlich gut.
Umstritten unter den Koalitionspartnern ist auch die Frage des Religionsunterrichts. Was ist Ihre Position?
Wir haben schon vor Jahren einen Vorschlag für einen Islamkundeunterricht gemacht, den Schulsenator Böger in der ganzen Debatte aber zurückgestellt hat. Jetzt muss endlich etwas passieren. Wir sind für Islamkunde, also keinen bekennenden Unterricht, der von Vertretern der Religionsgemeinschaften unterrichtet wird. Denn die existierenden Organisationen hier in Berlin sind keine Religionsgemeinschaften, sondern politische Organisationen. Der Unterricht soll auf Deutsch sein, damit Kinder unabhängig von ihrer Herkunftssprache daran teilnehmen können. Und alle Strömungen und Facetten des Islams sollen gleichberechtigt behandelt werden.
Zwischen SPD, FDP und Grünen ist umstritten, ob am Zuschnitt des Büros der Ausländerbeauftragten etwas verändert werden soll. Was meinen Sie?
Wir wollen, dass das Amt der Ausländerbeauftragten einen etwas zeitgemäßeren Namen wie „Migrations- und Integrationsbeauftragte“ bekommt, und dass zwei Kompetenzen festgeschrieben werden: erstens ein ausdrückliches Mitzeichnungsrecht bei allen Belangen, die Migranten betreffen, und zweitens ein Initiativrecht. Die Ausländerbeauftragte soll also den anderen Ressorts Vorschläge machen können, mit denen sich diese dann auseinandersetzen müssen.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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