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auf dem hart umkämpften berliner zeitungsmarkt

von CAROLA RÖNNEBURG

Wer außerhalb Berlins lebt, bekommt immer wieder zu hören, der Berliner Zeitungsmarkt sei hart umkämpft. Das stimmt insofern, als man in Berlin wochentags zwischen rund 15 unterschiedlich dicken Zeitungen wählen kann und am Sonntag, seit Einführung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, noch mehr Stapel in den Geschäften liegen. Auf dem hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt scheuen die Verlage daher weder Kosten noch Mühe, neue Leser zu gewinnen bzw. – oft noch wichtiger – wenigstens die alten bei der Stange zu halten. Dafür müssen sich dann Redakteure mit zusätzlich angeheuerten Beratern zusammensetzen und so genannte Konzepte entwickeln.

Eine der Zeitungen mit neuem Konzept ist der Tagesspiegel. Sein „Redakteur für besondere Aufgaben“, Christoph Amend, trat vor kurzem in einem Beitrag des Fernsehsenders n-tv auf. Er schritt zügig durch einen Flur, wie man ihn sonst nur aus Reportagen über unterfinanzierte Polikliniken kennt, öffnete eine Tür und wandte sich zur Kamera: „Wir haben zum Beispiel eine Seite eingeführt, die ,Ja` heißt“, sagte er stolz. „Ja“ behandele ein Thema, das viele Leser beschäftige, nämlich Heirat und Trennung. Ja, die „Ja“-Seite: Die gibt es wirklich, mit peinlichen Berichten über Brautpaare – wie sie sich kennen gelernt haben, welche Musik auf ihrer Hochzeit gespielt wird, woher das Brautkleid stammt –, dazu ein kleines Kästchen über gescheiterte Ehen sowie die Aufforderung an die Tagesspiegel-Leser, die eigene Vermählung doch bitte telefonisch mitzuteilen.

Man sollte glauben, dass sich jeder Journalist für diese besondere Aufgaben schämen müsste, und für einen kurzen Moment sah das auf n-tv auch so aus: Nach dem „Ja“-Sager war nämlich Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zu sehen, eingesperrt in das dunkle Archiv der Zeitung. Zur Strafe? Nein, doch nicht. Das Archiv war bloß Kulisse für ein Interview über, genau, den hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt.

Dass es aber auch anders gehen kann, bewies gestern wieder einmal die B.Z. Während sich nahezu alle Tageszeitungen mit Schröder, den Grünen und der Fußballweltmeisterschaft beschäftigten, setzte das Boulevardblatt auf eine raffinierte Doppelstrategie: Zwar widmete sich die Titelseite dem Schicksalsspiel und Schröder, die Werbetafel für die aktuelle Ausgabe zeigte jedoch nie Dagewesenes: Unter der Fotografie eines Mannes vor einem Schaufenster stand die alarmierende Schlagzeile „Schaufensterkrankheit!“ Ein neuer Schachzug Bin Ladens? Die Berliner Schaufenster mit Viren infiziert? Nicht ganz. Die Schaufensterkrankheit, löste die B.Z. das Rätsel, werde von Medizinern als „periphere arterielle Verschlusskrankheit“ bezeichnet, „Der Volksmund nennt dieses schlimme Leiden Schaufensterkrankeit . . . Wer betroffen ist, bleibt einfach dort stehen, wo ihn die Schmerzattacke überfällt. Und vielleicht schafft er es ja gerade noch bis zum nächsten Schaufenster, schaut derweil hinein, wartet, bis der Anfall vorbei ist.“ Schaufensterkrankheit! Das ist der Sieg auf dem hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt.

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