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Kantine, Club, Kantine

Notorische Unbehaustheit und Träume, die ein gutes Stück größer als die Gegenwart sind. Maria Speths Film „In den Tag hinein“ verweigert sich den großkotzigen Berliner Metropolenfantasien

von KATJA NICODEMUS

„An diesem Abend trug die Stadt die Maske einer Kapitale“, heißt es in einer Erzählung von James Joyce ein wenig scheinheilig über Dublin – was natürlich suggeriert, dass hinter dem glitzernden Lichtermeer ein gewisser Provinzialismus lauert. Ähnlich hat man auch in Berlin das Gefühl, dass das reale Stadtgeschehen von den repräsentativen Zeichen des relativ jungen Kapitalendaseins noch wie abgekoppelt ist. Im Kino nimmt dieser Gegensatz in letzter Zeit häufig die Form einer großkotzigen Kleingeistigkeit an. Je krampfhafter deutsche Regisseure zurzeit Fernsehturm, Potsdamer Platz und hippe Panoramablicke von den Dächern der Plattenbauten ins Bild setzen, desto maskenhafter und damit letzlich auch provinzieller erscheint die Stadt.

Vielleicht wirkt es gerade deshalb fast befreiend, wenn Maria Speth in ihrem Regiedebüt „In den Tag hinein“ einzelne Berlinbilder sucht, die auf eine schlicht funktionale Urbanität verweisen, statt krampfhaft hinter dem Imago des kohärenten Metropolenraums herzuhecheln. Bei Speth besteht die Stadt aus den pulsierenden Schlangenlinien der Stadtautobahn, aus menschenleer in den Nachthimmel ragenden Bürohochhäusern, verlassenen Bürgersteigen, neonhellen Tunneln und Verkehrsinseln im Morgengrauen. Da diese Bilder im Umkreis einer ziemlich nachtaktiven Hauptfigur entstehen, hat es auch nichts Gekünsteltes, wenn die metallischen Farben der blauen Stunde dem Film einen leicht verlorenen Anstrich geben.

Speths Heldin Lynn ist eine dieser jugendlichen Großstadtdrifter, die tagsüber in der Großkantine schuften und nachts in Clubs gehen. Notorische Unbehaustheit, Unverbindlichkeit der Liebesbeziehungen und Träume, die ein gutes Stück größer als die Gegenwart sind – bei Lynn äußern sie sich in Gestalt von kleptomanischen Beutezügen durch schicke Schuhgeschäfte.

Während die Ziellosigkeit der Adoleszenz in den meisten Filmen nur Übergangsstadium ist, wird sie in „In den Tag hinein“ zu einer Daseinsform, die nicht unbedingt auf etwas Anderes, Vernünftiges, Erwachsenes verweist. Dass das alles nicht ewig so weitergehen kann, deuten nur die Nörgeleien der älteren Schwester an, in deren Wohnung Lynn ein unaufgeräumtes Zimmer hat.

Man kann es als eine etwas platte Gegenmetapher empfinden, dass Lynns Freund oder Exfreund ausgerechnet ein Leistungsschwimmer ist, der in wunderbar blauen, kühlen Schwimmbadbildern an der Perfektionierung seines ohnehin schon beängstigend durchtrainierten Körpers arbeitet. Andererseits wirkt der immer wieder quer durchs Bild kraulende Sportler wie die Fleisch gewordene Illustration einer Leistungs- und Vernunftideologie, die nicht nur im Vergleich mit manchen 630-Mark-Ecken von Berlin absurd erscheint.

Letztlich driften hier alle auf verschiedene Weise in den Tag hinein – Lynn, der Sportler, ihre erfolgsentschlossen heiratende Schwester und ein junger Japaner, der sich wie ein schüchterner Gast durch Speths Film bewegt. Manchmal hat man das Gefühl, dass sich zwei sogar sehr nahe kommen könnten, etwa wenn die beiden Schwestern auf der Hochzeit zusammen tanzen oder wenn der Japaner Lynn auf dem Fahrrad durchs nächtliche Berlin kutschiert. Dann wieder wirken alle wie verlorene Schützlinge, für die auch Berlin nicht mehr das ewige Kindermädchen spielen will.

„In den Tag hinein“. Regie: Maria Speth. Mit Sabine Timoteo, Hiroki Mano u. a. Deutschland 2001, 118 Min.

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