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Wie sage ich's dem Kinde?

■ Das Deutsche Rote Kreuz hat in Bremen ein Programm für Familien mit kleinen Kindern gestartet: „Prävention statt später Förderung“ ist das Motto von „Opstapje“

Familien mit kleinen Kindern sind besonderem Stress ausgesetzt. Faktoren wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, beengte Wohnverhältnisse und fehlende Elternteile verstärken diese Belastung noch. In Bremen hat das Deutsche Rote Kreuz deshalb das neue Familienprogramm „Opstapje“ gestartet.

„Opstapje“ ist ein deutsches Pilotprojekt, das in Holland entwickelt wurde. Übersetzung: „Schritt für Schritt“. Das Programm richtet sich an kleine Kinder und deren Eltern.

„Problematisch ist, dass Mütter und Väter heute oft zu wenig mit ihren Kindern sprechen“, weiß Roswitha Schneider, die Leiterin von „Opstapje“. Dabei seien gerade die Kleinen darauf angewiesen, dass sie die Dinge genau erklärt und beschrieben bekommen. Wo Eltern das Alltagsgeschehen mit ihren Kindern besprechen, hat das nicht nur positive Wirkung auf den Wortschatz; über Gespräche entwickeln Kinder auch Vertrauen in andere Menschen.

Das präventive Frühförderungsprogramm „Opstapje“ richtet sich an zwei bis vierjährige Knirpse. Wenn die in ihrer Bewegungsfähigkeit oder ihrem Sprach- und Denkvermögen hinter Gleichaltrigen zurückstehen, lässt sich hier mit einfachen Mitteln am meisten aufholen. Dahinter steckt die Beobachtung, das heute immer mehr Vorschulkinder „aufällig“ sind, weil sie nicht genug beachtet werden.

Ganz neu ist die Erkenntnis zwar nicht, dass Eltern die Verantwortung für eine gesunde Entwicklung ihres Kindes tragen. Roswitha Schneider erklärt jedoch: „In der Frühförderung des Sozialamts wurden Familien bislang nicht direkt unterstützt“. Das soll mit „Opstapje“ anders werden. Das Pilotprojekt will bewusst auch den Eltern helfen. Denn die kennen ihr Kind am besten, beobachten es und fühlen, was es braucht. „Alle Eltern haben diese Fähigkeit“, meint Schneider, viele wüssten es nur nicht. „Opstapje“ will das nutzen und zu einem guten Umgang mit dem Kind anleiten. Neu ist auch der Zeitpunkt der Förderung. „Sonst begann man erst im Kindergarten oder in der Schule auf die Kinder zu achten, wenn sie schon auffällig waren“, betont die Sozialpädagogin. „Viel zu spät“ findet sie das. „Opstapje“ setzt an, wenn die Kinder noch zu Hause sind.

Gestartet ist das Programm im Juni mit zehn Familien in Hemelingen. Weitere Standorte sind für Tenever und Bremen Nord geplant. 35 Familien können sich noch anmelden. Für die kostenlose Teilnahme möchte Schneider über Kindergärten, Tagesstätten und ÄrztInnen werben. „Allerdings sind viele Eltern skeptisch, weil wir Hausbesuche machen“. Das stelle eine besondere Barriere für die Teilnahme dar. Schneider betont jedoch, dass die Mitarbeiterinnen vertraulich mit Dingen umgingen, die zu Hause passieren. Sie hätten zudem keinerlei Mitteilungspflichten an Ämter oder andere Institutionen.

„Opstapje“ dauert zwei Jahre. In dieser Zeit besucht eine Hausbesuchsmutter die Familie für eine halbe Stunde wöchentlich. Die Hausbesuchsmutter muss, um eingestellt zu werden, selbst Mutter sein. Pädagogische Bildung setzt Schneider nicht voraus. „Unsere Anforderungen liegen mehr in den Persönlichkeitsmerkmalen der Bewerberin“, sagt Schneider. Wichtig sei, dass die Person kontaktfreudig, belastbar und flexibel ist.

Dass Schneider pädagogisch ungebildete Kräfte einsetzt, hat nicht nur finanzielle Gründe. Zwar wird bei den Gehältern ein ganzer Batzen Geld eingespart, die Hemmschwelle für Familien sei aber auch geringer, wenn unprofessionelle Helferinnen ins Haus kämen. „Von Mutter zu Mutter kann man sich einfach besser und ehrlicher unterhalten“, meint Schneider. Die Hausbesuchsmutter hat die Aufgabe, das Programm in die Familie zu tragen. Sie bringt Bücher, Spielmaterial und Arbeitsblätter für die Eltern mit. Besonderen Wert legt das Konzept darauf, dass die Kinder nicht den ganzen Tag vor Gameboy oder Fernseher verbringen. Stattdessen sollen sie Alltagsgegenstände kennen lernen. Schneider: „Viele Kinder wissen nicht, was eine Wäscheklammer ist.“ Eltern könnten ihre Kinder schon fördern, wenn sie ihnen zeigen, was Mama oder Papa mit der Wäsche tun, wenn sie aus der Trommel kommt.

Neben den Hausbesuchen finden alle zwei Wochen Gruppentreffen zum Erfahrungsaustausch statt. Die Themen der Treffen sind von den Bedürfnissen der Eltern abhängig. Über gesunde Ernährung, Zahnpflege und Trockenwerden gab es bis jetzt in Hemelingen Informationsbedarf.

Wenn das Programm in Bremen gut angenommen wird, sollen Eltern bald bundesweit gefördert werden.

Melanie Haselhorst

Information: Roswitha Schneider, DRK , Tel: 0421/ 70 6070 15

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