: Im Poesiealbum des Pop
Das Schaumbadmassaker: Travis sind lauter. Travis haben die Berliner Columbiahalle ausverkauft. An besinnungslos Liebende. Und die dümpeln nun in einer Badewanne voll von lauwarmem Wohlklang
von ARNO FRANK
Liebende. Manchmal stehen sie nebeneinander, ihre Hand auf seiner Schulter, und flüstern sich zu, was Pärchen sich eben so zuflüstern. Manchmal stehen sie hintereinander, die Hände auf Höhe der Hüften verschränkt, und schaukeln synchron mit den Becken. Manchmal steht sie mit dem Rücken zur Bühne, den Kopf auf seiner Brust, als lausche sie auf seinen Herzschlag. Aber Travis sind lauter. Travis haben die Berliner Columbiahalle ausverkauft. An Liebende.
Die dürften sich auch en masse das aktuelle Album mit dem schönen Titel „The Invisible Band“ angeschafft haben, das sich verkaufte wie geschnittenes und lecker mit Nutella bestrichenes Brot. Weißbrot wohlgemerkt, denn so leicht verdaulich wurden selten Harmonien auf Harmonien getürmt. Singles wie „Sing“ oder „Side“ gehen ins Ohr wie Traubenzucker ins Blut, der Rest der Platte aber steht eigentümlich still wie eine Badewanne voll lauwarmem Wohlklang.
Was natürlich manchen Miesepeter vermuten ließ, dass es den Briten an Substanz und Tiefe gebricht. Überprüfen lassen sich solche Anwürfe nur live: „Tonight Travis Are Visible“ stand denn auch auf einem Transparent, das Sänger Francis Healy noch vor dem ersten Song des Abends präsentierte. Sichtbar wurde zunächst eine fünfköpfige Band, die Versatzstücke der Popgeschichte erstaunlich lässig vor den eigenen Wagen spannt. Wann haben wir zuletzt einen Sänger mit Irokesenschnitt gesehen, der von der Bühne aus brav seine Schwiegermutter im Publikum grüßt? Ein ähnlich schiefes Bild gibt Andrew Dunlop ab, der Gitarrist, dem förmlich anzusehen ist, wie er daheim vorm Spiegel all die dramatischen Posen einstudiert haben muss, mit denen er nun am rechten Bühnenrand herumturnt. Als spiele er nicht seidenweiche Melodien für eine Halle voller wippender Pferdeschwänze, sondern stählerne Riffs für die hartgesottenen Fans von The Who oder The Clash.
Zwischen unfreiwilliger Komik und echter Peinlichkeit verläuft indes noch eine Grenze. Frontmann Francis Healy ist dazu da, sie zu überschreiten: „Ladies“, ruft er in schönstem Schottisch, „ihr seid die wertvollsten und perfektesten Geschöpfe, die Gott jemals geschaffen hat. Und deswegen ist der nächste Song nur für euch!“
Da freuen sich die wertvollsten und perfektesten Geschöpfe, aber auch ein paar einsame Männer – solche, die an diesem Abend lieber Travis als Fußball gucken. „Sind hier Träumer im Saal?“, fragt Healy in den frenetischen Jubel hinein, der daraufhin noch mal richtig losbrandet: „Wow, wir spielen für einen Saal voller Träumer!“
Und weiter geht’s durch ein Set ohne Höhen und Tiefen, durch einen Crashkurs in Harmonie und Harmlosigkeit, der mit einem Rockkonzert so viel zu tun hat wie Träumen mit Travis. Mit einem blauen Handtuch lässt sich Healy den Schweiß von der Stirn tupfen – und erntet selbst dafür Applaus. Von einem Publikum, das dem Bassisten dann auch bereitwillig ein Geburtstagsständchen bringt, singt, Feuerzeuge schwenkt – bis Francis Healy das herzige Treiben mit dem einzig wahren Satz des Abends unterbricht: „Let’s go back to business.“
Das Geschäft ist Musik für Leute, die keine Musik hören, und Konzerte für Menschen, die nicht auf Konzerte gehen. Denen es gleichgültig ist, wenn vorgeblicher Schmerz an der Welt mit seligem Dauergrinsen vorgetragen wird. Schade, sehr schade. Und so berechenbar, dass man bestürzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte – was aber schon alle anderen tun, die klatschen, mit den Händen über dem Kopf. Höflich und besinnungslos, wie Liebende eben miteinander umgehen.
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