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Die frauenlose Freiheit

Seit einundzwanzig Jahren trotzt eine kleine Gruppe ehrenamtlicher Journalisten dem Normierungsdruck und publiziert die anarchistische Vierteljahreszeitschrift „Schwarzer Faden“. Ein Redaktionsbesuch

von GITTA DÜPERTHAL

„Anarchie ist eine Ordnung, die sich aus innerem Antrieb entwickelt, keine äußere Struktur nach festen Gesetzen.“ Sagt Janja Hofmann, seit drei Jahren Redakteur des Schwarzen Fadens, der „Vierteljahreszeitschrift für Lust und Freiheit“. „Das hat mit Selbstorganisation zu tun, nicht mit Chaos.“ Missverständnisse bleiben dabei nicht aus. Als etwa im Inhaltsverzeichnis des aktuellen Hefts alle Umlaute fehlten, fanden das einige Leser prompt „schön unangepasst“. Doch in diesem Fall handelte es sich nicht um eine Neuordnung aus innerem Antrieb, um keine beabsichtigte anarchistische Tat: „Der Drucker hat es schlicht verdödelt.“

Im vergangenen Jahr lag die Gründung des Anarchomagazins zwanzig Jahre zurück. Gefeiert wurde nicht. „Viel zu konventionell!“, beschloss die siebenköpfige ehrenamtliche Redaktion. Obgleich einige Redakteure von Beginn an mitwirken und sich noch gut an die Anfänge erinnern können. Doch gefeiert wird nach Lustprinzip, nicht diktiert von einem starren Zeitplan. Basta. Wie der Name sagt, sollte die „Vierteljahreszeitschrift für Lust und Freiheit“ in der Regel viermal im Jahr in der Auflage von 2.500 Exemplaren erscheinen. In der Regel. Denn diesmal hat es nicht ganz hingehauen. Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und bisher sind erst zwei Nummern erschienen.

Vertrieben wird die Zeitschrift in den noch verbliebenen linken Domänen. In Frankfurt, wo die Redaktion des Schwarzen Fadens zu Hause ist, ist das Vertriebssystem mittlerweile recht überschaubar geworden: Die Karl-Marx-Buchhandlung, der Buchladen „Land in Sicht“, der Infoladen in der Leipziger Straße „Exzeß“, der „Eine-Welt-Laden“ und der Büchertisch an der Universität. Rund sechshundert Menschen beziehen das Blatt im Abo. Abohochburgen sind Frankfurt, Berlin, Hamburg, Göttingen und Münster.

In den Redaktionssitzungen des libertären Blattes geht es bisweilen hoch her. Und nicht immer ist das Resultat so, wie die sieben Redaktionsmitglieder es sich wünschen. An die geplante Streitdebatte zwischen den anarchistischen Querdenkern Chomsky und Bookchin, die voll aus dem Ruder lief, erinnert sich die Anarchocrew noch heute schmunzelnd. Noam Chomsky, der engagierte und populäre Linguist aus Boston, und Murray Bookchin, der große alte Mann der libertären Gesellschaftskritik und einer der Köpfe der amerikanischen Arbeiterbewegung, sollten sich streiten. Am besten so, dass die Fetzen fliegen. Die Voraussetzungen dafür waren günstig, wie sich Redakteur und Faden-Urgestein Andi Ries erinnert: „Die beiden zornigen alten Männer konnten sich nicht leiden, gingen einander aus dem Weg, wo sie nur konnten – nicht zuletzt aufgrund politischer Differenzen.“ Die Redaktion des Anarchomagazins wollte die Diskussion im Heft führen: „Nächtelang haben wir mit ihnen diskutiert, bis die Köpfe rauchten; die Telefondrähte liefen heiß.“

Doch dann kam alles ganz anders. Die beiden begegneten sich zufällig auf einer Konferenz, das Eis war gebrochen. Bookchin bezeichnete Chomsky zwar weiterhin als „das politische Unwesen schlechthin“, stellte aber fest, was für ein netter Mensch er ist. „Schlecht für den Faden, gut für die emotionale Beziehung“, so Ries.

Die Inhalte von der ersten Nummer bis heute sind gleich geblieben: Aktuelle Politik wird kommentiert, es geht darum, die Historie der Anarchismusbewegung zu diskutieren und Gesellschaftsanalyse jenseits vom Tagesgeschehen zu betreiben. Nach über zwanzig Jahren anarchistischen Redaktionsalltags sind einige Faden-Mitarbeiter längst zu Legenden geworden. Da gab es etwa den Berliner Kulturkritiker mit dem Pseudonym Jörg Auberg, hinter dem fast jeder herrannte und der ein 24-Seiten-Werk geliefert hatte, aber von dem redaktionellen Vorschlag, ein Drittel zu kürzen, so wenig hielt, dass er sich nie wieder meldete. Und da gibt es nach wie vor den Schriftsteller Peter Paul Zahl, der seine Artikel nach dem „Come soon“-Prinzip aus Jamaika liefert. Zu Deutsch: bald oder gar nicht. Die Abstände zwischen PPZs sehr eindeutigen erotischen Episoden, die er mit Anekdoten füllt, seien allerdings kontinuierlich und merklich geringer geworden. Sagt Dieter Schmidt, im Hauptberuf wie beim Faden Verlagslektor.

Regelmäßig schreibt auch der Startbahngegner Michael Wilk, einer der maßgeblichen Globalisierungskritiker, unter anderem über den Frankfurter Flughafen und dessen Auswirkungen, über Lärm- und Umweltsauereien, ein unerschöpfliches Thema. Wilk geht es dabei nicht nur um den kommunalen Aspekt, das Vorgartenidyll. Sondern vor allem darum, die zunehmende Machtkonzentration des Kapitals anzuprangern. Ein klassisches Thema für den Schwarzen Faden. „Wir wollen die internationalistische Debatte“, sagt Schmidt. „Antimilitaristische, antirassistische und ökologische Themen stehen bei uns im Vordergrund.“ Beim Feminismus allerdings hakt es – die Redaktion beklagt akuten Frauenmangel. Es gibt keine einzige Redakteurin. Ein wunder Punkt, wie Hofmann gesteht. Auch die Beiträge im Heft sind männlich dominiert. Dabei gibt es doch bei den Redakteuren diesen viel beschworenen emanzipativen Ansatz, sowohl berufliche, als auch persönliche Beziehungen gleichberechtigt und respektvoll zu gestalten. Mangels Praxis muss es beim Faden einstweilen beim hehren Vorsatz bleiben.

Stolz sind die Redakteure darauf, den Begriff „libertärer Kommunalismus“ geprägt zu haben. Bookchin frei übersetzt: Der Anarchismus wird auf die kommunale Ebene geholt, Ziel ist ein aktualisiertes Rätemodell. Stadtteilversammlungen und direkte Demokratie in den Städten lauten die Stichworte.

Zugegeben, das klingt alles etwas theoretisch und dröge. Stimmung kommt hingegen in der Redaktionssitzung bei der Diskussion eines „wirklich gelungenen Artikels“ auf – Titel: „Die Kunst des Tortenwerfens“. In dem Plädoyer für süße Wurfgeschosse geht es, unter anderem um die fröhliche Betortung des schwulenfeindlichen Erzbischofs von Minneapolis während einer Veranstaltung: Seine Eminenz traf der Zorn eines Schwulenaktivisten in Form einer Schokotorte ins Gesicht. „Hier stimmt das Theorie-Praxis-Verhältnis“, scherzt ein Redaktionsmitglied. Und weil das Betorten in Europa nicht so weit verbreitet ist, ist dem Text ein Rezept gleich beigefügt.

Fühlen sich die Redaktionsmitglieder als Dinosaurier in einer soziokulturellen Landschaft, in der der Kommerz bestimmt? Ist es nicht ein unentwegtes, anstrengendes Gegen-den-Strom-Schwimmen, weil die politische Diskussion um herrschaftsfreies Zusammenleben derzeit meist als Unterfangen unbelehrbarer Außenseiter und Träumer abgetan wird? Hofmann findet, dass unter dem Einfluss des Diskurses, der derzeit „vom starken mächtigen Mann Bush in Amerika“ zum Krieg gegen den Terror geführt wird, das politische Klima auch hierzulande zunehmend vergiftet wird: Anarchistische Meinungspluralität und der Respekt vor dem Leben und gegenüber der Würde jedes Einzelnen werde auf diese Weise ins Abseits katapultiert. Krieg bedeute institutionalisierte Befehlsgewalt und straffe Hierarchien. Und totalitäre Verhältnisse sind dem anarchistischen Lebensgefühl zutiefst zuwider.

Wann haben die Redakteure zuletzt einen ansatzweise anarchistischen Alltag erlebt? Janja Hofmann, der 35-jährige Architekt, findet: „Manchmal sind es Kleinigkeiten, nicht die große Politik, etwa wenn Herrschaftsausübung durchbrochen wird.“ Bei Andi Ries (37), Graphiker und Layouter, lachte das anarchistische Herz im Leib zuletzt am 1. Mai. „Der hatte in diesem Jahr richtig Lebensqualität“, sagt er mit strahlenden Augen. „Da haben es die Frankfurter den braunen Provinzlern, die mit Bussen hier ankamen, mal so richtig gezeigt.“ Das Schönste: Kein übliches Politpublikum sei es gewesen, das da dem großmäuligen Vorhaben der angereisten Rechten, in Frankfurt in „die letzte Bastion unserer Gegner, die sich noch sicher fühlen“, stoßen zu wollen, ein jähes Ende bereitete.

Auch Hofmann gerät ins Schwärmen: „Viele Jugendliche waren da, viele Alte, die man von früher kannte. Die jungen Leute, in Schlaghosen und Batikhemden, von LKWs dröhnte Musik von den Doors und von Jimi Hendrix. In der Stadt waren diverse Gruppen unterwegs, aus eigenem Antrieb. Und die Blockade war erfolgreich. Die Nazis bekamen keinen Fuß in die Stadt. Mussten von Polizisten in die U-Bahn geleitet werden. Widerstand und Selbstorganisation – großartig!“ „Okay“, räumt Ries ein, „natürlich blüht gemeinsames solidarisches Agieren vor allem dann auf, wenn es ein Feindbild gibt. Ist es draußen kalt, ist die kuschelig warme Wohnung, in der man enger zusammenrückt, ein besonders angenehmer Ort.“

Und das anarchistische Liebesleben? Ist so wild nicht. Hofmanns ist derzeit nicht existent. In der Politszene vermisst er „Lockerheit, Offenheit und fröhlich unbefangenes Kommunizieren“. Schmidt praktiziert freie Liebe – aber immer mit derselben: „Wenn ich alt bin, möchte ich gemeinsam mit ihr auf einer Bank vor einem Sonnenblumenfeld sitzen.“

Die Redaktion des Faden: ein Haufen sympathischer Freunde. Nur manche Abonnenten sind etwas eigen. Ein Berliner Buchhändler etwa zahlt nur, wenn einer der Redakteure persönlich vorbeikommt. Der Betrag, den er bar übergibt, ist willkürlich festgelegt. Mal mehr, mal weniger, als die eigentliche Rechnung ausmacht, je nachdem wie sein Geschäft gerade läuft. Aber einen Kaffee und ein Gespräch über das aktuelle gesellschaftspolitische Klima ist immer drin. Und ein anderer Abonnent hat sich nach langer Zeit zu erkennen gegeben. Endlich. „Eines Tages kam ein Schreiben vom Verfassungsschutz, in dem ein Abo gekündigt wurde, das auf den Namen Petermann lief – ein Doppelfehler vom Amt. In Wirklichkeit wollte der Verfassungsschutz das Abo nur an eine andere Adresse liefern lassen und hatte gar nicht vor, sich als Abonnent zu outen“, amüsieren sich die Redakteure.

Bis Anfang des Jahres 2001 wurde der Schwarze Faden vom Trotzdem Verlag herausgegeben. Um das Überleben der Zeitschrift zu sichern, hat sich die Anarchocrew – wider ihre sonstigen Gepflogenheiten – realitätsnah verhalten, sich an bürokratische Normen angepasst, die üblicherweise mit Verachtung gestraft werden. Es gibt eine neue Rechtsform, mit der Spendengelder steuerlich absetzbar sind. Der Schwarze Faden wird nun vom „Verein zur Förderung libertärer Bildungsarbeit e. V.“ herausgegeben, der zudem politische Diskussionsveranstaltungen organisieren wird. Der Trotzdem Verlag wurde in eine Genossenschaft umgewandelt. Bisher beteiligen sich rund 130 Stammleser mit Anteilen von fünfhundert Mark. Neue Genossenschaftler seien stets willkommen, betonen die Verlagslektoren und Redakteure des Anarcho-Magazins. Das aktuellste Werk: Noch in diesem Monat wird „Angriff auf die Freiheit“ erscheinen, ein Sammelband mit Essays zu den Ursachen der Anschläge des 11. Septembers und zur Frage nach dem Sinn, Unsinn oder der Legitimität des Krieges, unter anderem vom pakistanischen Schriftsteller Tariq Ali.

GITTA DÜPERTHAL, geboren 1956, lebt als Journalistin in Frankfurt. Ihre Schwerpunkte: Soziokulturelles und PolitikDer Schwarze Faden, Heftpreis acht Mark, ist zu beziehen über die Trotzdem Verlagsgenossenschaft eG, Postfach 1159, 71117 Grafenau; Fon (070 33) 4 42 73, Fax (070 33) 4 52 64, E-Mail: schwarzerfaden@gmx.de

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