Dabei, aber nicht zugegen

Anzugträger Benjamin von Stuckrad-Barre liefert auch in der siebten Ausgabe seines „MTV Lesezirkels“ eine unsägliche Vorstellung. Dabei wollte er doch nur Hans Leyendecker veräppeln

von HARALD KELLER

Man soll ja Kinder nicht schlagen. Auch nicht den Dreckspatz vom Spielplatz drüben, der Passanten mit feuchter Schmöttke bewirft. Oder Benjamin von Stuckrad-Barre, der etwas Ähnliches in seiner Sendereihe „MTV Lesezirkel“ betreibt. Trotzdem möchte man beiden gelegentlich recht gern eine reinhauen.

Stuckrad-Barre zum Beispiel dann, wenn er großartig angekündigten Gästen wie dem SZ-Redakteur Hans Leyendecker doppelt großartig übers Maul fährt. Die Ansage lautete: „Hans Leyendecker wird den Journalistenschülern, die hier vor mir aufgebahrt sind, ähäh, erzählen, wie es wirklich geht ...“ „Es“ meint investigativen Journalismus, und später dann sollten die von Stuckrad-Barre tüchtig getriezten Auszubildenden der Henri-Nannen-Schule Leyendecker befragen dürfen, was aber vollends scheiterte, weil von Stuckrad-Barre auch diesen Part seiner Sendung so fahrig und hampelig und polternd zu bewältigen suchte, dass man ein Zitat aus seinem Erstlingswerk anzuwenden geneigt ist: „Ich kriege nichts mit, bin mit mir selbst beschäftigt, der Rausch hebt alles an, auch die Sicht, ich sehe nur noch Wolken“ (von Stuckrad-Barre 1998, S. 76f.).

Der qua Rausch entrückte von Stuckrad-Barre – über den gelöst von seiner Bedeutung nur deswegen so viel geschrieben wird, weil, ganz ähnlich verhält es sich ja mit Jürgen von der Lippe, allein die häufige Nennung seines Namens für Zeilenschinder eine wahre Goldgrube darstellt – von Stuckrad-Barre also entbehrt jeglicher Tugend eines auch nur halbwegs erträglichen Fernsehunterhalters. Als da wären Gelassenheit, aufrichtiges Interesse am Gast, Sinn für Timing und die Fähigkeit, zurückzutreten. „Seine Angeberei ist wirklich grotesk in ihrem Nichtsdahinter (...)“ (von Stuckrad-Barre 1998, S. 30).

Am meisten erfreut er sich an der Rolle des Oberlehrers. Das Studiopublikum spricht er mit „liebe Kinder“ an, hört ab, was die Nachwuchsjournalisten recherchiert haben, tadelt, lässt Hausaufgaben stellen und betätigt sich gar als Deutschlehrer in einer Berufsbildenden Schule. Es hätte ein Spaß werden können, aber dann wedelte von Stuckrad-Barre wieder wie von Aufputschmitteln getrieben nervös herum; und der Beitrag wurde auch dadurch nicht besser, dass man ihn im Schneideraum in inhaltsfreie Partikel zerlegte.

Mitunter, keine Frage, hat von Stuckrad-Barre ja Recht mit seinen Anwürfen. Natürlich nimmt er gleich zu Beginn der Sendung Franz Josef Wagner aufs Korn, der in seiner Welt-Kolumne Sätze schreibt wie: „Da bin ich dabei, aber nicht zugegen.“ Hoppla, nein, das war auch Sprachmüll, aber von Stuckrad-Barre selbst (von Stuckrad-Barre 1998, S. 76). Pardon. Wagner hingegen schrieb, und Stuckrad-Barre zitiert es genüsslich: „Ich will ausruhen von den Bomben und den Kummergesichtern aus dem Fernsehen. Knabberzeug her. Ein Bier her. Füße hoch. (....) Freiheit ist, sechs Dosen Bier während des Schicksalsspiels zu trinken und die Erde der Finsternis zu vergessen. (...) Die Wahrheit unseres Lebens ist nicht die Angst, sie ist eine Dose Bier.“

Schwachmatenprosa, fürwahr, aber von Stuckrad-Barre ist nicht der Mann, dergleichen in Harald-Schmidt-Manier intelligent auf links zu ziehen. Stattdessen schmäht er Wagner als „hässlichen alten Mann von Seite 2“ und fragt mit vorgeschütztem Interesse: „Wie besoffen ist Franz Josef Wagner wirklich, während er diese absolute Scheiße schreibt?“

Nun ist es wenig unterhaltsam, „Mitmenschen bei peniblem Nachrechnen beiwohnen zu müssen“ (a.a.O., S. 67). Deswegen ruft ein Mann aus dem Publikum gegen Ende lauthals nach einem Bier. Auch er mag Stuckrad-Barre gelesen haben, der 1998 schrieb: „Prost auf den Dreck, der nunmal so viel Geld bringt, weil die Menschen da draußen sich ja offenbar alles andrehen lassen, wenn man nur lange und laut genug dreht“ (a.a.O., S. 92). Was zu beweisen war.