: Wie im Weltkrieg
1916 ausgelöscht, später aufgebaut – bald wieder platt? Wo das Dorf Chaulnes liegt, soll bald der dritte Flughafen von Paris entstehen
aus Paris DOROTHEA HAHN
Chaulnes und drei weitere Dörfer bei Amiens werden von der Landkarte verschwinden. 17.000 AnwohnerInnen werden sich Ohrschützer zulegen müssen. Und die Flughäfen in der „Blauen Banane“, wie die geschäftlich interessante und dicht besiedelte Großregion zwischen London, Brüssel und Düsseldorf heißt, müssen sich auf harte Konkurrenz einstellen – wenn im Jahr 2020 der dritte internationale Flughafen von Paris eröffnet. Seine Errichtung in der Picardie, 125 Kilometer nordöstlich der französischen Hauptstadt, hat am Donnerstag Premierminister Lionel Jospin verkündet.
In der auserwählten Gegend, die relativ dünn besiedelt ist und vor allem von der Landwirtschaft lebt, kündigten bereits zwei Dutzend BürgermeisterInnen ihre Rücktritte aus Protest gegen die Flughafenentscheidung an. „Wir sollen ausradiert werden, wie 1916“, wetterte Raphael Poupard, Bürgermeister von Chaulnes, das im Ersten Weltkrieg den Feldschlachten am Fluss Somme zum Opfer gefallen und anschließend wieder aufgebaut worden war. Der Ort mit seinen 116 EinwohnerInnen ist mit Plakaten vollgeklebt: „Nein zum Flughafen“.
“Wir haben einen der fruchtbarsten Böden Europas“, behaupten die Bauern von Chaulnes, die auf rote Rüben spezialisiert sind. Andere FlughafengegnerInnen versuchen, das Projekt mit Öko- und Wirtschaftsargumenten zu verhindern: Die beiden existierenden internationalen Flughäfen von Paris, Orly und Roissy, seien noch längst nicht ausgelastet. Chaulnes sei mit 125 Kilometern viel zu weit von Paris entfernt, die Politik des „dritten Flughafens“ sei unter kommerziellen Gesichtspunkten schon in London und Montréal gescheitert.
Die Entscheidung für einen dritten Flughafen für Paris geistert schon seit dem Jahr 1992 durch die französische Debatte. Rechte und linke Regierungen halten ihn für notwendig. Sie begründen das Projekt mit der angeblich absehbaren Verdoppelung des Flugverkehrs bis 2020 und mit der notwendigen Entlastung für die dicht besiedelten Regionen rund um die beiden Flughäfen Orly im Pariser Süden und Roissy im Norden.
Ein Flughafen in Chaulnes benötigt einen eigenen TGV-Anschluß und neue Zufahrtsstraßen. Gegenwärtig veranschlagen die ExpertInnen für das Projekt Kosten von zwischen sechs und neun Milliarden Francs (zwei bis drei Milliarden Mark). Der neue Standort soll nicht nur ein Passagier-, sondern auch ein Frachtflughafen werden.
Auch innerhalb der rot-rosa-grünen Koalition sorgt die Flughafenentscheidung für Aufregung. Während SozialdemokratInnen und KommunistInnen sich dafür aussprechen, sind die Grünen dagegen.
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