Ein historisches Wispern

Bei seinem Jubiläumskonzert gerät Wolf Biermann zum Replikat seiner selbst

Ganz allein sitzt Biermann auf der Bühne. Ganz so wie damals, beim Kölner Konzert, das ihn vor 25 Jahren ins Pantheon zeitgeschichtlicher Bedeutsamkeit katapultiert hatte. Und heraus aus der DDR. Museen dieser Art werden nur zu gewissen Zeiten geöffnet, und niemand liebt es, im Schatten der eigenen Vergangenheit zu stehen. „Es ist mir noch nie so schwer gefallen, ein Programm zusammenzustellen“, sagt Wolf Biermann zu Beginn. Schließlich soll das Konzert eine Bilanz der letzten 25 Jahre ziehen. Das reicht für drei Stunden, erst Ost-, dann Westlieder. Und das alles ohne seine berüchtigten Anmerkungen und Anekdoten. Das Ganze solle für die Rundfunkübertragung „schlank“ bleiben, erklärt der Sänger im ausverkauften Berliner Ensemble.

Der Verdacht historischer Bedeutsamkeit hängt nur über dem Geschehen, aber es bleibt beim Replikat. Trotz doppeltem Anlass: 65. Geburtstag und 25 Jahre Ausbürgerung. Zunächst begrüßt Rainer Eppelmann als Vorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die Prominenz – Angela Merkel und Manfred Krug, Antje Vollmer und Joachim Gauck waren gekommen –, um dann die Biografie des „wortgewaltigen Barden“ zu referieren.

Interessanter ist die Laudatio von Wolfgang Thierse. Der Bundestagspräsident würdigt Biermann als „Mutigen unter so viel Ängstlichen und Feigen“ und erklärt seine Ausbürgerung zum Lackmustest für die politisch Integren: „Je nachdem, wie sich jemand dazu stellte, wusste man, wie künftig mit ihm umzugehen war.“ Kurz streift Thierse die Widersprüche Biermanns – „eitel und selbstironisch zugleich“ –, aber all dies wird Biermann im Laufe des Abends selbst zeigen.

Es ist ein Heimspiel, bei dem das Publikum schon nach den ersten Takten applaudiert. Gleich das zweite Lied, „Die West-Marie in Ostberlin“ von 1964, gibt einen Eindruck vom Biermannschen Spektrum: „Ich halte ja dein Vogelherz in meiner Hand / Fest unter der kuschligen Titte / Nur Knutschn und Knutschn, mir tun / vom Immer-nur-Knutschn die Klöten weh“, mag man handfest-sinnlich oder auch albern finden. Doch das „Barlach-Lied“ macht klar, warum Biermann eben nicht nur Politikum, sondern auch Dichter ist. „Was soll aus uns noch werden / Uns droht so große Not / Vom Himmel auf die Erden / Fall’n sich die Engel tot“, heißt es im Kehrreim. Da hat sich das Publikum allmählich warm geklatscht, vor allem bei jenen Liedern, bei denen Zorn und Wortwitz Stasi und SED-Parteigenossen trifft. Beflügelt vom Zuspruch, zieht Biermann alle Register: Er wispert, grölt und schlägt auf die Gitarre, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Aber dann, bei der „Ballade vom Preußischen Ikarus“, gerät Biermann aus dem Konzept. „Wie damals in Köln“, sagt er, „meine Finger haben mehr historisches Gefühl als ich.“ Doch das will sich nicht recht einstellen. Vielleicht weil alles danach ruft. Vielleicht aber auch wegen des zweiten, westlichen Teils, der weit hinter dem ersten zurückbleibt.

„Ich hatte in der DDR die richtigen Freunde und die richtigen Feinde“, hatte Biermann zuvor bei der Podiumsdiskussion zu 25 Jahren Ausbürgerung gesagt. Doch wenn er nun wie einst die alten SED-Kader anprangert, hat das keinen schneidenden Witz, sondern wirkt nur wie solides Handwerk. „Die jungen Partei-Kader sind geschwind / In stinkenden Geldflüssen mitgeschwommen / Die haben sich clever wiedervereint / Und machen den Reibach beim Wiedervereinen“, heißt es wenig mitreißend in „Biermanns Bilanzballade im elften Jahr“. Dennoch gibt es langen Beifall. Ein guter Moment, um das Konzert zu beenden, aber Biermann lässt sich zu zwei Zugaben verleiten. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

„Nach dem Politischen ist auch etwas Menschliches erlaubt“, sagt er und singt ein Wiegenlied für seine einjährige Tochter. „Du Frucht meiner schwindenden Kraft“, beginnt er, „du sabberst so schön.“ Zwar findet Biermann zurück zum Politischen, aber das macht die Sache nicht besser. „Warum ich für diesen Krieg sein muss“, will er erklären. Als Kind eines jüdischen Kommunisten, das die Bombardierung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg als Befreiung erlebt habe, könne er nicht für einen „Friedhofsfrieden“ sein. Dann noch ein Hieb gegen jene „Scheinpazifisten“, die, Afghanistans Not lange ignorierend, sich nun zu Wort meldeten. Eine Dame von der Empore schreit mit überkippender Stimme: „Wem nützt der Krieg?“ Ein Mann schreit ihr zu, sie solle den Mund halten, doch Biermann fordert Rederecht für alle. „Jetzt wird es doch ein richtiger Biermann-Abend“, verkündet er und beendet im nächsten Satz das Konzert. FRIEDERIKE GRÄFF