Der vierundzwanzigste Slip

Die Geschäftsführerin des Coffee Shops im Auswärtigen Amt reizte der Sicherheitscheck auf dem Flughafen in Washington zu einer bombigen Bemerkung. Dafür landete sie kurzerhand hinter Gittern

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Freunde und Bekannte hatten sie gewarnt. „Überleg Dir das mit der USA-Reise“, bekam Cornelia Rössler, Geschäftsführerin des Coffee Shop im Auswärtigen Amt, immer wieder zu hören, bevor sie acht Tage nach den Anschlägen in den USA nach New York flog. Trotz der Katastrophe vom 11. September wollte sie die lang geplante Reise nicht canceln. Zusammen mit dem zweiten Geschäftsführer, Frank Brod, wollte die 33-Jährige in New York, San Francisco, Los Angeles und Miami Urlaub machen und nach neuen Trends Ausschau halten.

Drei Wochen lang erwiesen sich die Befürchtungen der Lieben daheim als unbegründet. Das änderte sich schlagartig auf dem Rückweg. Nachdem die beiden am 10. Oktober in Miami dreimal kontrolliert wurden und auf dem Weg nach New York auf dem Washingtoner Dulles International Airport zwischenlandeten, wurde aus der Urlaubsreise ein Horrortrip. Was Rössler da noch nicht wusste: Am 11. September war von dort eine Maschine von Terroristen entführt und ins US-Verteidigungsministerium gestürzt worden.

Rössler und Brod standen mit ihren Bordkarten in der Hand schon abflugbereit, als der Zufallsgenerator sie für eine weitere Kontrolle herausfischte. Während Brod seinen Rucksack mit allerlei technischen Equiment wie Digitalkamera, Handies und Laptop nach einer flüchtigen Kontrolle wieder schließen konnte, wurde die Geduld von Cornelia Rössler auf eine harte Probe gestellt: Die Zollbeamtin drehte jeden einzelnen Lippenstift heraus und nahm sich dann eine zusammenrollbare platzsparende Hülle mit 25 kleinen Fächern vor, in denen jeweils ein Slip war. Jedes einzelne Wäschestück zog sie heraus. Als sie bei Nummer 24 angelangt war, wurde es Cornelia Rössler zu bunt. Sie fragte leicht belustigt: „Do you really think there is a bomb in the next one?“ Eine Bemerkung mit fatalen Folgen.

Die Beamtin rief ihrem Supervisor zu „That woman said something about a bomb!“ Der Supervisor machte daraus im Handumdrehen eine „bomb threat“, eine Bombendrohung, rief einen Sheriff und alarmierte das FBI. Jedes Mal, wenn Cornelia Rössler etwas sagen wollte, wurde ihr der Mund verboten. „You are not allowed to speak!“ Ihr wurden Handschellen angelegt. Rössler war festgenommen. Wegen falscher Informationen über eine Bombe.

Im Polizeiauto ging es in ein nahegelegenes Gefängnis im District Virginia. Während der Sheriff mit einer Richterin über die angebliche falsche Bombeninformation sprach, wurde Rössler das Sprechen erneut verboten. „Don‘t talk to me!“ Kurze Zeit später saß sie hinter Gittern.

„Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe“, so Rössler. Sie musste sich komplett ausziehen und eine stinkende orangefarbene Anstaltskleidung anziehen. In einem Krankenzimmer wurde ihr ein Fieberthermometer in den Mund und eine Spritze in den Arm gesteckt. Was ihr da in die Vene gejagd wurde, erfuhr sie nicht. Die Nacht verbrachte sie bei Neonbeleuchtung und mit Überwachungskamera über der Toilette zusammen mit drei weiblichen schwarzen Gefangenen auf dem Betonboden einer kleinen Zelle. Diese erklärten ihr, dass die Beule auf ihrem Arm von einem TBC-Test stammt. Einziger Hoffnungsschimmer in dieser Nacht: Einer der Sheriffs war gebürtiger Deutscher. Der suchte ihr nicht nur die Telefonnummer der deutschen Botschaft heraus, sondern informierte auch Frank Brod über ihren Aufenthaltsort. Durchs Gitter hindurch durfte Rössler mit der Botschaft telefonieren.

Am nächsten morgen wurde sie in Handschellen in einen kleinen Raum geführt. Per Bildschirm und Mikrofon kommunizierte sie mit einem Richter. Dieser teilte ihr mit, dass sie sich im Januar 2002 wegen falscher Informationen über eine Bombe vor Gericht zu verantworten habe. Mit Handschellen und Fußfesseln wurde sie über einen Parkplatz auf dem Gefängnisgelände geführt, bevor sie ihre Kleidung zurückbekam und das Gefängnis verlassen konnte. Ihr Pass wurde einbehalten. Frank Brod und ein Botschaftsvertreter warteten vor dem Gefängnis.

Bevor Rössler zur Ruhe kommen konnte, musste sie erneut zum Flughafen, um ihr Handgepäck abzuholen. „Das war nur ein Vorwand“, merkte sie später. Denn auf dem Airport warteten zwei FBI-Beamte auf sie. Diese überraschten sie mit der Mitteilung „Sie sind verhaftet.“ Wegen einer Bombendrohung.

Mit dem Rechtsanwalt, den Frank Brod aufgetrieben hatte, durfte sie nicht sprechen. Statt dessen wurden ihr die Schnürsenkel abgenommen und Handschellen angelegt. Rössler wurde ins Bundesgefängnis in Alexandria gebracht, Fotos und Fingerabdrücke inclusive. Bevor sie erneut die Nacht in einer Zelle verbrachte, durfte sie ihren Anwalt sprechen. „Wir kriegen dich hier raus“, versprach er. „Ich zog die Decke über den Kopf und versuchte, zu schlafen“, so Rössler.

Ohne dass sie jemals angehört wurde, wurde am nächsten Morgen vom Bundesrichter ein Verhandlungstermin für Mitte November verkündet. Die Staatsanwaltschaft informierte die örtliche Presse über den Fall und kurze Zeit später lief über die Nachrichtenagenturen in Deutschland, dass eine Berlinerin bei einer Kontrolle gesagt habe, in ihrer Tasche befinde sich eine Bombe und dass sie keinen Versuch unternommen habe, ihre Drohung zurückzunehmen.

Ende vom Lied: Ohne dass Rössler weiß warum – vielleicht weil der deutsche Botschafter eine Note an die Staatsanwaltschaft geschrieben hatte – wurde aus dem Vorwurf der falschen Bombendrohung schließlich „Fehlverhalten“. Nach dem Motto „Friss Vogel oder stirb“ bekannte sie sich schuldig und musste 1.000 Dollar Verfahrenskosten zahlen. Deutsche Nachrichtenagenturen schrieben fälschlicherweise, sie sei zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Rössler wäre gerne vor Gericht gezogen, um einen Freispruch zu erwirken. Doch ihre Ausgaben für Hotel und Anwalt beliefen sich schon auf etwa 30.000 Mark. Zudem wollte sie das Land der unbegrenzten Möglichkeiten so schnell wie möglich verlassen. Am 11. November landete sie in Berlin.