: Keiner stellt die Frage mehr
Bayer Leverkusen springt auch unfrisch mit einem 2:1 in Köln an die Bundesligaspitze. Und die Niederlagenserie des FC mit sechs verlorenen Spielen in Folge ist vorbei: Jetzt sind es schon sieben
aus Köln BERND MÜLLENDER
So sehen Menschen aus, die von ihrer Liebsten verlassen worden sind. Oder die gerade etwas in sich absterben fühlen, was sie einfach nicht am Leben halten konnten. Ewald Lienen, Trainer des 1.FC Köln, war um Fassung bemüht und doch sehr traurig, fast altersmilde. Wie in Trance redete er, abwesend, mit bemüht gespielter Leidenschaft. „Schwer zu akzeptieren“ sei es, wenn „die beste Saisonleistung“ nicht honoriert werde. Und noch ein Fernseh-Interview, noch ein Satz, der mit „Wir werden . . .“ begann und mit „auf dieser Leistung aufbauen“ endete. Aber: Würde es nach der siebten Pleite in Folge überhaupt noch ein Wir geben?
Clubsprecher Rolf Dietrich vergrub das Gesicht in den Händen. War es das? Die Frage nach der Zukunft des Trainers stellt in Köln keiner mehr. Zu oft ist das passiert, zu viele Schicksalsspiele wurden angemahnt – und vergeigt. Immer noch sagt FC-Manager Linßen: „Es geht nie um Einzelpersonen, auch nicht um den Trainer.“ Aber auch: „Das war wieder eine Leistungssteigerung, aber keine Ergebnissteigerung.“ Und den bedrohlichen Satz: „Es besteht die Gefahr, dass man sich ans Verlieren gewöhnt.“
Bayer Leverkusen hat sich derweil auf beängstigende Weise ans Siegen gewöhnt. Auch wenn sie eigentlich gar keine Chance gehabt hatten, nach 15 bitter langen Jahren erstmals wieder in Müngersdorf zu gewinnen. Denn da hatte nach wochenlangem Dauerstress und aktuellem Reisechaos der Südamerikaheimkehrer „die Kraft gefehlt“ (Ramelow): „Eigentlich konnten wir nur verlieren.“ Das Spiel war „sehr schwer“ (Neuville), alle seien „etwas müde“ (Ballack) gewesen und „nicht hundert Prozent frisch im Kopf“ (Nowotny), respektive nur „mit viel Routine“ (Manager Holzhäuser) ins Spiel gekommen. Es reichte dennoch zum Sieg, der statt 2:1 am Ende auch 5:1 hätte lauten können.
Erfolgstrainer Klaus Toppmöller (13 Ligaspiele ungeschlagen) redet derweil immer wasserfallartiger. Ohne Luftholen folgen die Sätze nahtlos wie bei seiner Elf die Triumphe. „Wir waren vorher nicht so frisch und wir sind nur sehr sehr schwer in die Gänge gekommen, aber das war eines der Schlüsselspiele für den einen oder anderen Tabellenplatz am Ende der Saison.“ Elegant den Anspruch formuliert: Jetzt sind wir oben, jetzt bleiben wir oben. Was kümmert schon der Ligarest: „Wenn Bayern verliert, ist das deren Problem.“
Das Spiel war einigermaßen kurios. Der FC, ebenso giftig, quirlig und mit reichlich kölschen Tugenden gegen die technisch flutlichtmasthoch besseren Gäste, war in Halbzeit eins die bessere Elf und hatte zwei tolle Gelegenheiten (Sinkala, Reich). Leverkusens hatte erst nach 44 Minuten die erste Chance – Neuville traf die Latte – und augenblicklich bekam es der FC mit der Angst: Die können ja doch, wenn sie nur wollen. Plötzlich fehlte der halbe Schritt. Plötzlich wurde Bayer energischer. Und allmählich demütigend überlegen.
Als Kölns ungestümer Jens Keller gehen musste (Gelb-Rot nach Foul an Neuville) war der Außenseiter dezimiert und lag fünf Minuten später – in Führung nach feinen Konter durch Markus Kurth (57.) Doch aus einem Rückstand saugt Leverkusen erst den Honig der Motivation. Zum sechsten Mal in Toppmöllers kurzer Amtszeit wurde es ein Sieg – weil sie selbstbewusst unerschütterlich immer weiter machten. Und weil sich das multinationale Ensemble von WM-Teilnehmern, die am Mittwoch noch rund um den Erdball qualifikationsgewirkt hatten, auf den Instinkt seines einzigen Nichtnationalspielers Ulf Kirsten (früher DDR, BRD) verlassen konnte. Und weil Neuville kurz danach per Doppelpass-Traumtor traf, als spiele man gegen eine Schülerabwehr.
Die endgültig überforderten zehn Kölner kamen nicht mehr einmal gefährlich nach vorn. So offensichtlich, dass niemand mehr die Kraft zum Anfeuern hatte. Und so traurig, dass niemand mehr die Kraft zum Pfeifen hatte. Das Transparent „Arrogantia Colonia“ flatterte als lächerliches Mahnmal im kalten Wind. Blieb nur die blanke Hoffnungslosigkeit für die Elf aus der „schönsten Stadt der Welt“ (Stadionsprecher, Volksmeinung). Wenn de janz kapott bess, wie Ewald Lienens Freund Wolfgang Niedecken einst sang, dann sei es doch joot, wenn wenigstens einer zu dir hält. In Müngersdorfs Düsternis war es, lange nach dem Spiel, sogar eine Hundertschaft treuer Fans: Sie bejubelten und trösteten „Ewald Lienen, du bist der beste Mann“, als der Beste unter den Erfolglosen die Stätte der siebten Schmach verließ. Die schwarze Krawatte trug er immer noch. Den erstmals während des Spiels umgehängten Fanschal nicht.
1. FC Köln: Pröll - Cichon (80. Donkow) - Cullmann, Sichone - Reeb, Keller, Kreuz - Sinkala, Springer - Kurth (69. Dziwior), Reich (59. Timm)Bayer Leverkusen: Butt - Schneider (38. Sebescen), Lucio, Nowotny, Placente (62. Brdaric) - Ballack, Ramelow, Bastürk, Ze Roberto - Kirsten, Neuville (83. Vranjes)Zuschauer: 41.000; Tore: 1:0 Kurth (57.), 1:1 Kirsten (63.), 1:2 Neuville (72.); Gelb-Rote Karte: Keller (51.) wegen wiederholten Foulspiels
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