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Das Kosovo wählt gemäßigt

Bei den Parlamentswahlen in der serbischen Provinz gewinnt die Partei von Ibrahim Rugova. Die albanische Bevölkerungsmehrheit traut ihr eher den Weg in die Normalität zu als den aus der UÇK hervorgegangenen Parteien

aus Priština ERICH RATHFELDER

Offensichtlich genießt er das lang vermisste Bad im Journalistenpulk. Ibrahim Rugova, der langjährige Führer der Albaner des Kosovo, Pazifist und Schriftsteller, hat die Parlamentswahlen voraussichtlich gewonnen. Der Präsident des ehemaligen albanischen Schattenstaates, der Kämpfer für die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien und Jugoslawien und Gegner des bewaffneten Kampfes der UÇK, steht mit den am Samstag durchgeführten Wahlen vor der Erfüllung seines Traumes. Da seine Partei, die Demokratische Liga Kosova (LDK) stärkste Partei werden wird, sind seine Chancen gut, zum regulären Präsidenten seines Landes gekürt zu werden.

Noch sind die Ergebnisse nicht offiziell. Doch selbst seine politischen Gegner rechnen mit dem Sieg Rugovas. „So ein Mist,“ schimpft Flora, eine 25-jährige Englischlehrerin, „was hat dieser Kerl denn in den letzten Jahren für uns getan, er ist nie öffentlich aufgetreten, hat nichts gesagt, ist nur in seinem Haus herumgesessen. Warum wird er gewählt?“ Als Anhängerin der Partei des ehemaligen UÇK-Kommandeurs Ramush Hartandinaj ist sie enttäuscht. Ihr Kandidat erhält vermutlich nur etwa 10 Prozent der Stimmen. Nur die Partei von Hashim Thaci, dem Exführer der UÇK, kann mit einem ansprechenden Resultat von um die 20 Prozent rechnen.

So wird bestätigt, was sich schon bei den Gemeindewahlen im letzten Jahr angedeutet hatte. Die albanische Mehrheitsbevölkerung wählt gemäßigt und will zurück zur Normalität. Und die erwartet sie eher von Rugova und der LDK als von den anderen Parteien. Selbst das Verhältnis zu den in Enklaven lebenden Serben hat sich verbessert. Zwischenfälle werden kaum noch gemeldet. Die Zeiten nationalistischer Mobilisierung sind vorbei. Und das ist für die internationalen Organisationen das wichtigste Ergebnis ihrer Arbeit.

Hanns Christian Klasing, einer der Pressesprecher der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), freut sich über die perfekte Organisation der Wahl, die über 800.000 der 1,25 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen brachte. Mehr aber noch darüber, dass selbst Thaci und seine Präsidentschaftskandidatin, die lange in serbischen Gefängnissen festgehaltene Menschenrechtlerin Flora Bovina, im Wahlkampf von den ehemaligen Kriegsgegnern lediglich verlangten, den Status des Kosovo anzuerkennen und sich in die von der UN-Mission geschaffene politische Struktur zu integrieren.

Bis zum Wahltag herrschte bei den Serben noch eine geteilte Meinung darüber, ob man dies wirklich tun soll. Den meisten fiel es nicht leicht, ein Kosovo anzuerkennen, das nicht mehr unter serbischer Herrschaft steht. Trotz der Aufrufe der Führung aus Belgrad nahmen nur 46 Prozent der insgesamt 175.000 wahlberechtigten Serben an der Wahl teil. Manche Wähler wurden sogar zum Boykott gezwungen.

An der Brücke über den Ibar-Fluss, der die Stadt Kosovska Mitrovoca in zwei Hälften teilt – im Süden die Albaner, im Norden die Serben –, stehen sogar noch nach den Wahlen die „gazde“, die Brückenschauer, meist dickbäuchige oder muskulöse Männer. Es handelt sich dabei um eine radikale Gruppe von serbischen Nationalisten, die verhindern wollen, dass Albaner in den serbischen Teil gelangen. Während des Wahlkampfes schüchterten sie ganz offen ihre politischen Gegner von der Pro-Wahl-Bewegung „Povratak“ ein. Das hat sicherlich die meisten Wahlwilligen in Mitrovica abgeschreckt.

Im 120 Sitze umfassenden Parlament werden dennoch angesichts der Minderheitensitze voraussichtlich 21 Serben vertreten sein. Einer der Minister wird auf jeden Fall, so bestimmt es die Verfassung, ein Serbe sein. Und Rugova kündigte gestern an, dass nach der Wahl „ein neues Kapitel zwischen den Nationalitäten im Kosovo aufgeschlagen“ werde. Schon gibt es Spekulationen, ob seine Partei LDK mit den Serben eine Koalition eingehen wird.

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