: Abhebende Eigenheime
■ Dieter Begemanns bewegungsschwangere „Immobilien“ füllen die Galerie Kramer mit Papier und Stahl
Hopp hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp. Klar können Rösser eine schnelle Gangart einlegen. Doch wie sieht das bei Immobilien wie Häusern aus? Interessant. Zumindest bei den Arbeiten des in Martfeld lebenden Künstlers Dieter Begemann, der in der Galerie Kramer unter dem Titel „Begemanns Immobilien“ ausstellt.
Es erinnert mit seinen diagonalen Verstrebungen ein bisschen an das Haus vom Nikolaus: Das Heim, das auf seinen Stahlbeinen gut zwei Meter über dem Boden thront. „Haus im Galopp“, so der Titel dieser Stahl/Papierkonstruktion. Der Name füllt die Form mit Assoziationen. Vor dem inneren Auge des Betrachters scheinen sich die zwei geschwungenen Stahlbeine nach hinten abstoßen zu wollen, um mit voller Kraft nach vorne zu preschen. Doch die beiden vorderen Stangen bremsen diese Bewegung ab, die „Vorderläufe“ scheinen vor einem Hindernis zu scheuen.
Daneben steht das „Haus auf Reisen“, das unter seinen vier metallenen Füßen Räder trägt, die es wer weiß wohin transportieren könnten – aber niemals werden. Denn das Objekt ist Utopie, die Idee von etwas Perfektem, das unerreichbar ist. So wirken die gut 30 Skulpturen fast melancholisch, können sie die angedeuteten Erwartungen doch nicht erfüllen.
„Phantasiereisen ins Land des Glücks kennt jeder“, so Dieter Begemann. „Aber die Realität sieht oftmals anders aus.“ Gerade das mache es spannend. „Architektur und Technik sind für mich Ansatzpunkte, um etwas anderes zu vermitteln.“ Die technischen Momente wie Propeller oder Räder auf den Objekten verhelfen den Dingen nicht wirklich zum Fort-Schritt. Das sei weder Glorifizierung von Technik noch Feindlichkeit ihr gegenüber, betont der Künstler.
Seine archetypischen Häuser symbolisieren für den 47-Jährigen das Grundbedürfnis der Menschen nach dem Sich-niederlassen. Doch irgendwann bestünde die Gefahr, im Fundament zu versinken – Stillstand. „Bewegung hingegen bedeutet für mich Leichtigkeit, Eleganz. In ihr ist eine Mehrdeutigkeit enthalten, die mich fasziniert.“ Und um eben diese Ambivalenz der beiden Grundbedürfnisse gehe es bei den fahrenden Häusern.
Ambivalent verhalten sich auch seine verwendeten Materialien. „Stahl ist hart, gilt als unverwüstlich und langlebig. Die Arbeit damit ist laut und dreckig. Papier aber ist zart, fein, geduldig und scheint sehr vergänglich“, sagt Begemann. Doch die beiden Materialien stehen nur in einem scheinbarem Widerspruch zueinander.
Denn Stahl rostet – die Spuren dieser Zersetzung zeichnen sich wiederum am Papier ab, das damit quasi die Endlichkeit des harten Eisens entblößt. Die Wertung des Materials wird umgekehrt. „Zudem dient das vergängliche Papier der Verfestigung der Konstruktion“, betont Begemann. Denn das in Rechteckrastern zusammengeschweißte Eisengerüst ist zunächst schwankend und elastisch. Erst die mit tierischem Leim aufgebrachte Papierschicht verleiht dem Körper die hohe Stabilität.
Seit gut zehn Jahren arbeitet Dieter Begemann mit dieser Symbiose aus Gegensätzen. „Begemanns eigene Formsprache macht seine Skulpturen so interessant“, findet Galeristin Elke Kramer. Und Willy Athenstädt von der Kunsthalle schwärmt zu Recht: „Ihnen haftet der ferne Glanz des Schönen an.“ Sörre Wieck
Bis zum 2. Dezember in der Galerie Kramer, Vor dem Steintor 46 (mi – fr von 10 bis 18.30 Uhr)
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