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„Sydney hat mich sehr geprägt“

Alexander Leipold wurde bereits als Ringer-Olympiasieger gefeiert, dann nahm man ihm die Goldmedaille wieder ab und sperrte ihn, weil Nandrolon in seinem Urin gefunden wurde. Bei der WM ringt Leipold nun erstmals wieder international

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Leipold, mit welcher Erwartung fahren Sie zur WM?

Alexander Leipold: Ich will eine gute WM ringen, das heißt, meinen aktuellen Leistungsstand auf der Matte umsetzen.

Das bedeutet?

Eine Platzierung irgendwo zwischen Platz eins und zehn.

Das klingt recht mutig für einen, der ein ganzes Jahr weg war vom Fenster.

Natürlich ist das mutig – aber auch realistisch. Ich schätze mich momentan so ein, dass ich zu den besten zehn der Welt gehöre, in Top-Form zähle ich mich nach wie vor zu den besten drei. Bei der WM muss ich einfach sehen, wie die Sache läuft.

Die paar Bundesliga-Wettkämpfe, die Sie seit Ablauf Ihrer Sperre gerungen haben, reichen als Vorbereitung aus?

Insgesamt waren es zehn Wettkämpfe, das ist relativ viel. Das Wettkampftraining in Richtung WM war also durchaus in Ordnung. Was mir fehlt ist ein guter und solider Kraft- und Ausdauer-Aufbau. Da fehlen mir einfach Trainingseinheiten, die ich bei der WM eben mit anderen Sachen kompensieren muss, mit Routine und Cleverness zum Beispiel.

Wie weit sind Sie von Ihrer Olympia-Form entfernt?

O je, das ist schwer zu sagen. Die Weltspitze spielt sich in einem Fünf-Prozent-Rahmen ab: Der Erste hat 100 Prozent, der 20. immer noch 95. Da entscheidet manchmal schon die Tagesform. Mir fehlen im Moment vielleicht fünf Prozent, aber ich habe im Vergleich zu Sydney ja auch nur 50 Prozent der Trainingseinheiten. Auf jeden Fall habe ich wieder den Fuß in der Tür.

Als Sie das erste Mal nach Ihrer Sperre wieder gerungen haben, sind Sie von den Fans in der Halle überschwänglich gefeiert worden. Haben Sie damit gerechnet?

Ich bin schon damals, direkt nach Sydney, mit totalem Applaus in Deutschland begrüßt worden. Ich denke, das kommt daher, dass die Menschen das Gefühl haben, dass ich unschuldig bin, dass ich nichts Verbotenes gemacht habe. Mittlerweile sind ja auch viele Argumente und Beweise aufgekommen, die diese Annahme bestätigen.

Wie wichtig ist Ihnen diese positive Reaktion der Öffentlichkeit?

Sehr wichtig. Ich habe in den 27 Jahren, in denen ich aktiv bin, immer versucht, das Ringen als sauberen und fairen Sport zu präsentieren, ich habe immer mein Bestes gegeben und mich für die Sache eingesetzt. Das bekomme ich jetzt von den Fans zurück.

Nichtsdestotrotz wurde in Ihrem Urin ein Stoff gefunden, der da nicht reingehörte.

Wenn’s denn mein Urin war . . .

Da hegen Sie immer noch Zweifel?

Es ist nach wie vor so, dass die unterschiedlichen Mengen bisher weder vom Internationalen Sportgerichtshof CAS noch vom IOC oder von irgendjemandem sonst schlüssig erklärt werden konnten.

Sie sprechen von der Urinmenge, die Sie nach dem Finale in Sydney bei der Dopingkontrolle abgeben mussten.

Genau. Im Protokoll steht, dass ich 50 ml Urin zur Probe abgegeben habe, im Labor untersucht wurden aber offensichtlich 85 und 60, also 145 ml.

Das würde bedeuten, dass im Labor mehr von Ihrem Urin untersucht wurde, als Sie damals abgegeben haben.

Das Problem dabei ist, dass ich nach einem Jahr natürlich nicht mehr sagen kann, wie viel ich genau in das Gläschen gepinkelt habe. Vielleicht waren es 50, vielleicht 100 ml. Fest steht nur, dass genau 50 ml protokolliert und später 145 ml analysiert wurden. Und das kann nicht sein. Hinzu kommt, dass die B-Probe, quasi mein Beweismittel, vorzeitig vernichtet wurde. Normalerweise muss die B-Probe 90 Tage aufbewahrt werden und darf nur im Beisein des Athleten geöffnet werden. Das war bei mir nicht der Fall. Im Gegenteil: Obwohl ich extra beantragt hatte, die B-Probe länger aufzubewahren, wurde sie vernichtet.

Sie denken an Manipulation?

Nein, das tue ich nicht. In einem Labor kann so viel passieren, das muss nicht gleich Manipulation sein. Einem Arbeitskollgen von mir wurden beispielsweise kürzlich nach einer Blutuntersuchung die Krebswerte falsch mitgeteilt, da war einfach das Komma um eine Stelle verrückt. So blöd es klingt: Aber das kann vorkommen – ganz bestimmt auch in einem IOC-Labor. Auch dort können Fehler passieren.

Und was hat es mit den anonymen E-Mails auf sich, die Ihnen zugegangen sind und in denen ganz offen von Betrug die Rede ist. Unter anderem soll dort zu lesen sein, dass es das ureigenste Interesse des amerikanischen Ringerverbandes war, Gold in Ihrer Gewichtsklasse zu gewinnen, und dass, wären Sie Zweiter geworden, die Silbermedaille heute noch Ihnen gehören würde.

Stimmt. Aber das bringt mir doch nichts. Deshalb will ich das hier auch nicht vertiefen. Das ist vielleicht eine Super-Story für ein Buch, aber doch nichts fürs richtige Leben.

Aber auch Sie müssen doch nach Erklärungen gesucht haben für das Nandrolon in Ihrem Urin.

Klar, nächtelang. Und ich kann’s mir immer noch nicht erklären. Ich habe nichts Verkehrtes gemacht und war immer sehr vorsichtig. Dennoch hat es mich erwischt – und ich weiß immer noch nicht, warum. Das ist das Schlimmste.

Ganz neu ist diese Opfertheorie aber auch nicht. Warum sollte man ausgerechnet Ihnen glauben?

Weil ich unschuldig bin.

Das sagen doch alle. Fakten, Herr Leipold, Fakten.

Fakt ist zum Beispiel, dass jeder, der ein bisschen Ahnung hat von der Materie, selbst Wissenschaftler, sagt, dass es keinen Sinn macht, mit Nandrolon zu dopen, schon weil es so leicht nachweisbar ist. Und dennoch gibt es Nandrolon-Fälle zuhauf. Bei mir speziell war es zudem so, dass die Menge, die in meinem Urin gefunden wurde, weit weg von jeder Leistungssteigerung war. Doping ist aber nicht nur ein Wort, sondern es bedeutet, dass etwas Leistungssteigerndes im Körper sein muss. Hinzu kommt, dass keiner weiß, wie viel und unter welchen Bedingungen Nandrolon vom Körper selbst produziert wird. Klar ist nur, dass es im menschlichen Körper vorkommt. Für mich ist mittlerweile längst klar, dass man Nandrolonfälle nicht mit anderen Dopingfällen vergleichen kann.

Wie sehr hat das Ihre Einstellung gegenüber anderen Dopingsündern verändert?

Ich bilde mir nicht mehr vorschnell ein Urteil. Und wenn ich irgendwo lese, dass einer mit Nandrolon erwischt wurde, denke ich nur: Der arme Kerl. Wenn einer aber etwas Verbotenes genommen hat, gehört er nach wie vor gesperrt.

Dem Kontrollsystem stehen Sie demnach nicht prinzipiell misstrauisch gegenüber?

Nee, wieso auch? Das Kontrollsystem funktioniert doch.

Bei Ihren bisherigen Auftritten in der Bundesliga wurden Sie von den Hallensprechern bisweilen als „unser Olympiasieger“ begrüßt. So ganz korrekt ist das ja nicht.

Nö. Andererseits drückt es aus, dass ich für viele Ringerfans immer noch ihr Olympiasieger bin. Das ist so, wie wenn ich zu einem Sohn sage: Du bist mein Bester.

Und was sind Sie für sich?

Ich darf zwar nicht sagen, dass ich Olympiasieger bin, aber ich fühle mich so. Ich habe das Olympische Ringerturnier gewonnen. Nur dass man mir die Medaille abgenommen hat.

Wie denken Sie an diesen Moment zurück?

Der Sieg in Sydney war das Highlight meiner Karriere, was danach kam der absolute Tiefpunkt. Man hat mich um meinen Lebenstraum betrogen, das war die schwerste Zeit, die ich in meinem Leben durchgemacht habe. Andererseits ist es ja vielleicht so, dass wer so etwas mitgemacht hat, nicht mehr so schnell zu erschüttern ist. Ich habe eine ganze Menge fürs Leben gelernt, dass eine glückliche Familie und ein gesundes Kind viel wichtiger sind als jede Medaille zum Beispiel. Sydney hat mich da sehr geprägt.

Wie geht es nach der WM weiter mit Ihnen und dem Ringen?

Ich will nächstes Jahr erst einmal wieder eine ganz normale Saison ringen und meinen Fans so lange wie möglich treu bleiben.

Zum Beispiel bis zu Olympia in Athen. Da könnten Sie sich die Goldmedaille ja zurückholen.

Das wäre dann schon meine zweite.

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