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Sturz vom Olymp

Störfall durch Störeier: Ein „Scherz“ kostet den Chefberater des Kanzlers, Michael Steiner, das Amt

von PATRIK SCHWARZ

Der Olymp ist ein hoher Berg, und bloß, weil dort irgendwann in den Vormittagsstunden ein kleiner Gott abgestürzt ist, halten die anderen Götter noch lange nicht mit ihrem Tagwerk inne, die etwas größeren schon gar nicht. „Ich muss jetzt mit Blair zum Essen“, sagt Frank-Walter Steinmeier, der als Chef des Bundeskanzleramts so etwas wie der Hausmeier des Olymp ist. Gerade hat der britische Premier Tony Blair seinen Gastbeitrag auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg beendet und der Bundeskanzler seinen wichtigsten außenpolitischen Berater entlassen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist in der Politik manchmal atemberaubend. Die sichtbaren Folgen eines Himmelssturzes sind banal: Michael Steiners Platz am gemeinsamen Mittagstisch von Kanzler und Premier wird heute leer bleiben.

Drei Jahre lang bereiste Steiner als Schröders Chefdiplomat die Welt der Mächtigen. Als es auf sein politisches Ende zuging, kam er nicht mal mehr bis Mittelfranken. In Nürnberg hätte er im „Saal München“ des Kongresszentrums mit Rudolf Scharping auftreten sollen, dem zweiten Sturzvogel dieser Woche. „Deutschland in der Welt“ lautete das Thema, über das beide sich in besseren Zeiten gerne und länglich verbreiten. Diesmal kam weder Scharping noch Steiner. Machtmenschen meiden den scharfen Geruch des Misserfolgs bei anderen offenbar selbst dann noch, wenn sie ihn selbst schon verströmen.

„Wir waren hundemüde“

Steiner war an diesem Montag in Berlin geblieben. Er war vom einzigen Anliegen in Beschlag genommen, das ihn mehr interessiert als „Deutschland in der Welt“: sein politisches Überleben. „Kanzler, entlassen Sie diesen Mann!“, hatte die Bild zum Auftakt des Parteitags getitelt. Der Pfeil zeigte auf Steiner. Der Tagesspiegel hatte bereits am Samstag über eine Beschwerdedepesche des Verteidigungsattachés an der deutschen Botschaft in Moskau berichtet. Von Steiner nicht bestritten wird, dass er bei einem Zwischenstopp auf der Rückreise des Kanzlers aus China zwei Mitglieder der Bundeswehrcrew als Arschlöcher beschimpfte, nachdem er vergebens Kaviar verlangt hatte.

Selbst die Beine hochlegen und hart arbeitenden Soldaten Kaviar abverlangen – so stellte Bild den Fall dar. Gerhard Schröder glaubt der Zeitung zwar nicht immer, aber er nimmt sie immer ernst. Seit Montag war Steiner in Nöten. Um sich zu retten, schrieb er einen Brief an die zwei beteiligte Soldaten. Eine Kopie ging an die Bild, das war ein Fehler. Es ging nicht um schwarze Störeier, rechtfertigte Steiner sich, „das war schwarzer Humor“. Außerdem: „Wir waren hundemüde nach der langen Asienreise. (...) Wir wollten nach Hause.“ – „Warum sind unsere Mächtigen bloß so arrogant?“, kommentierte Bild am nächsten Morgen. Fazit: „Kanzler, so geht’s nicht“.

Um 12 Uhr mittags erfährt Schröder in Nürnberg von Steiners Rücktrittsgesuch – und nimmt an. Der Kanzler hatte gerade seine außenpolitische Rede gehalten. Aus dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung machte Steinmeier gestern keinen Hehl: „Nach der Berichterstattung heute morgen war mit einem solchen Schritt zu rechnen.“ Trotzdem haftet dem Absturz des Michael Steiner eine innere Zwangsläufigkeit an, die durchaus an antike Mythen erinnert. Der gelernte Diplomat hat bei seinem rasanten Aufstieg vergessen, dass die wirklichen Götter keinen neben sich dulden – und einen Abteilungsleiter im Kanzleramt schon gar nicht.

Missgunst und Eitelkeit

Im Laufe seiner Zeit in Schröders Diensten hat Steiner die eigene Bedeutung immer höher eingeschätzt – während er für den Kanzler immer entbehrlicher wurde. Das hat Gerhard Schröder just am Tag von Steiners Rücktritt wieder bewiesen. Seine außenpolitische Rede gestaltete der Kanzler in freier Zwiesprache mit den Zuhörern. Auf der Weltbühne kann mir keiner etwas vormachen, lautete die Botschaft, da brauche ich kein Kindermädchen mehr. Steiners wichtigste Rolle ist damit hinfällig geworden.

Doch Steiners Sturz ist auch der Missgunst und den Eitelkeiten geschuldet, die Deutschland „Foreign Policy Team“ spalten. Gewiss, Steiner war von den Eitlen einer der Eitelsten, er war aber auch von den Fähigen einer der Fähigsten. Die Kombination aus beidem hat ihn bei seinem formalen Vorgesetzten, dem Kanzleramtsminister Steinmeier, ebenso unbeliebt gemacht wie im Auswärtigen Amt. Fotos zeigen ihn meist, wie er sich über die Schulter seines Chefs beugt, doch ein Bückling war er nie. Seine Meinung hat er meist deutlich gesagt, manchmal auf Kosten der Wahrheit. Mit der übetriebenen Behauptung, Gaddafi habe ihm seine Beteiligung an den Anschlägen auf „La Belle“ und den Lockerbie-Flug eingestanden, brachte Steiner Joschka Fischers Staatssekretär Jürgen Chrobog einen peinlichen Auftritt vor dem zuständigen Bundestagsausschuss ein. Das Protokoll des Moskauer Verteidigungsattachés zur Kaviaraffäre drang nicht zufällig aus dem diskreten Außenministerium an die Presse.

Letztlich scheiterte Steiner aber an einem formidablen Gegner: der Geschichte. Angesichts der neuen Bedeutung Deutschlands bräuchte die Regierung einen Berater im Stile des amerikanischen „National Security Advisers“. Dann hätte man Steiner das ausgeprägte Bewusstsein um seine Rolle nie als Überschätzung auslegen können. Doch als Beamter lebt es sich schlecht auf dem Olymp. Nach einemNachfolger wird schon gesucht.

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