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Pirsch der Räuber

Musik, tragbare Gärten und Mäuse in der Kampnagel-Ausstellung „Predator“  ■ Von Christian T. Schön

In einem alten, umgebauten Ambulanzwagen ist Giles Perry von London nach Hamburg gefahren. Jeder, der ihn auf der Fahrt überholte oder entgegenkommen sah, konnte an der Stirn des Fahrzeuges in Spiegelschrift den Ausstellungstitel lesen: Predator. Räuber, Raubtier. Jetzt steht der Wagen vor den Ausstellungsräumen von kx auf Kampnagel, in denen sich eine bunte Schar überwiegend in London arbeitender KünstlerInnen mit Fotos, Videos, Skulpturen und Installationen eingerichtet hat.

Die Ausstellung sei nicht im Voraus konzipiert worden, erklärt Mitorganisator Jorn Ebner, die KünstlerInnen seien vielmehr einzeln von den OrganisatorInnen eingeladen worden. So kam man auf insgesamt dreizehn TeilnehmerInnen. Das Zusammenspiel der einzelnen Kunstwerke sollte sich erst während des Aufbaus und dann zufällig ergeben. Und Mittwoch nachmittag, einen Tag nach Ankunft der meisten KünstlerInnen in Hamburg, waren tatsächlich die erste Verbindungen zu erkennen.

Zum Beispiel Julie Henry und Sean Ashton: Henrys Fotoserien von rosa Einheitsferienhäusern, an denen große Tafeln mit den Namen Elvis, Diana, Laurel, Hardy, Romeo und Juliet prangen, spiegeln dieselbe Liebe der Menschen zu ihrem Eigentum und einprägsamen Namen wider wie Ashtons Aufnahmen von Motorhauben und Autoaufklebern. „Terminator“ tauft da der eine, „Delacroix“ der andere sein Gefährt.

Zu dem merkwürdigen Titel der Ausstellung kam es, als einer der Künstler sich – vor der Fotographien „Thrice“ von Nayan Kulkarni stehend – an den Film Predator erinnert fühlte, in dem ein unsichtbares Raubtier Arnold Schwarzenegger verfolgt. Genau so, fand man, solle sich der Sinn der Kunstwerke an die Betrachtenden von hinten unbemerkt anschleichen und sie mitreißen.

Nayan Kulkarni verfremdet seine großformatigen Fotographien am Computer. Durch die Überlagerung verschiedener Blickwinkel und Vergrößerungen entsteht an einem Punkt im Bild ein Fokus mit klaren Konturen. Doch um ihn herum zerspringen die Formen wie ein Spiegel in kleine Teile. Andere Arbeiten der jungen KünstlerInnen erklären sich auf unterhaltsame Weise selbst, wie Jorn Ebners Bodeninstallation „Tragbarer Garten“ oder Jaspar Joseph-Lesters Spielautomaten-Choreografie zu klassischer Musik. Oder sie sperren sich gegen die allzu leichtfertige Vereinnahmung, wie Liz Kents Videos oder Dan Thorpes hexagonaler Bau einer Überwachungsstation auf Basis von städtebaulichen Computer-Simulationsspielen. (In Afghanistan setzt die CIA übrigens ferngesteuerte Flugzeuge vom Typ „Predator“ zur Aufklärung und Überwachung ein.)

Ein überraschendes Novum hat der Schotte Calum Stirling erschaffen: Er hat den Country'n'Western-Klassiker „Wichita Linesman“ mittels digitaler Technik als dreidimensionale schottische Landschaft nachmodelliert. Die Höhe der Berge gebe die Lautstärke an, erzählt er schelmisch, und je weiter es vom Gebirge hinab ins Flachland gehe, desto höher sei die Frequenz der Musik. Das Künstler-Duo „work“ (John Seth, Anne Tallentire) hat während einer Performance, die per Video dokumentiert wird, ein „Manifesto“ errichtet. Die Installation aus gestapelten Tischen, Zeitungen und Fundstücken erinnert an Obdachlosen- oder Flüchtlingsunterkünfte. Interpretationen, die den beiden KünstlerInnen, auch wenn sie sich insgesamt nicht festlegen wollen, durchaus recht sind.

Karin Ruggabers Lichtinstallationen sind dagegen eher unsichtbar und entwickeln erst langsam aus ihrer einfachen Funktionalität heraus eine räumliche Präsenz als Skulptur. Häufig, hat sie festgestellt, fallen sie BesucherInnen auch erst beim Verlassen der Ausstellung auf. Und Giles Perry hatte Mittwochabend noch etwas anderes vor. Er setzte eine Maus in die Ausstellungsräume und filmte sie beim Betrachten der Kunstwerke.

Mi–So 16–20 Uhr, Kampnagel (im Verwaltungsgebäude); bis 22. Dezember

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