: Das Leben nach dem Todesurteil
Fürs Weiterleben nach der Aids-Diagnose gibt es ehrenamtliche Hilfe ■ Von Peter Ahrens
Michael Kläger war gut im Immobiliengeschäft, er arbeitete 60 Stunden in der Woche, als er die Diagnose bekam: HIV positiv. Vorbei mit dem Leben, ein paar Monate vielleicht noch. Raus aus dem Beruf, das Leben noch, so gut es geht, genießen, ist eh egal.
Das ist jetzt vier Jahre her, und das Leben dauert immer noch. Plötzlich muss man sich wieder Gedanken um den Alltag machen, um einen Job, um Beziehungen, „du willst ja auch nicht den ganzen Tag nur zu Hause herumhängen“. Auch das ist ein Problem Aids-kranker Menschen – damit zurechtzukommen, dass das Leben weitergehen kann, weil die medizinische Versorgung inzwischen besser geworden ist.
„Viele tun sich mit dem neuen Leben schwer“, hat Kläger erfahren. Er selbst hat es geschafft, „aus dem Loch herauszukommen“. Heute jobbt er zehn Stunden in der Woche, nebenbei arbeitet er ehrenamtlich für die Hamburger Aids-Hilfe. Einen Full-Time-Job, den würde er nicht mehr schaffen, gesundheitliche Rückschläge kehren immer wieder, „und wenn ich mal krank bin, wissen in der Firma alle Bescheid“. Das ist alles andere als selbstverständlich.
Das Verschweigen der Krankheit gegenüber dem Arbeitgeber und ArbeitskollegInnen ist noch die Normalität – zu schlecht sind die Erfahrungen, die viele Betroffenen gemacht haben, wenn sie von ihrer Infektion erzählt haben – KollegInnen rücken ab, Chefs sehen plötzlich keine Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mehr.
Dafür, dass das einmal anders wird, arbeitet auch Angelika Drechsler. Sie leitet die Koordinationsstelle „Beschäftigung und Aids“ in der Unzenstraße. Dort wirbt sie bei Unternehmen für Verständnis und die Bereitschaft, auch Aids-infizierte MitarbeiterInnen zu akzeptieren. Dort ist sie auch Ansprechpartnerin für Betroffene, die versuchen, ihr Leben unter dem Zeichen der Krankheit zu organisieren. „Lebensverlängerung ist nämlich auch ganz schön anstrengend“, sagt Drechsler. Wenn Betroffene nach der Diagnose ihre Lebensversicherung verkauft, alles Geld auf den Kopf gehauen haben, aus dem Erwerbsleben ausgestiegen sind und die Frage auftaucht, „ob es sich überhaupt noch lohnt, sich einen Wintermantel zu kaufen“, wie Jörg Korell von der Aids-Hilfe das formuliert. Dann folgt der nächste Winter, noch ein Winter und noch einer – und das Geld ist weg, und viele Aids-Kranke sind auf Sozialhilfe angewiesen.
Auch Drechsler arbeitet ehrenamtlich, so wie Detlef Trappmann, der in der Aids-Hilfe Telefonberatung macht, weil es ihm nicht reichte, „nur im Beruf dem Mammon hinterher zu jagen“ oder Ingeborg Brusberg, die seit zehn Jahren Angehörigenarbeit betreibt – seit sie 1990 erfuhr, dass sich ihr Sohn infiziert hat. „Das Leute nur noch gegen Geld arbeiten und niemand mehr freiwillig etwas machen will, ist einfach gelogen“, sagt Korell. Viel größere Sorgen als um mangelndes ehrenamtliches Engagement macht er sich um die Versorgung aidskranker Frauen in der Stadt und um die Aids-Beratung von Menschen aus anderen Kulturkreisen. Hier gebe es noch große Defizite in Hamburg.
Bevor am 1. Dezember zum Welt-Aids-Tag wieder der Immunschwächekrankheit gedacht wird, macht die Hamburger Aids-Hilfe bereits am kommenden Mittwoch ein „Come together“ in ihren Räumen in der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli. Ab 10 Uhr stehen die Türen der Aids-Hilfe offen, es gibt Information und Beratung.
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