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Unmut sucht sich den Schill-Kanal

Aufbau Ost der Schill-Partei ist von Chaos und schnellem Beledigtsein geprägt. In Sachsen-Anhalt formiert sich der Zug von Hasardeuren, Geschassten und Gestrandeten unter der Führung des Wirtschafts- und Politabenteurers Ulrich Marseille

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Eine Runde teils weitgereister Geschäftsleute wurde zu Wochenbeginn in einem Magdeburger Hotel ebenso Opfer konfuser Informationspolitik wie manche Journalisten. An Stelle der erwarteten neuen Schill-Parteikader erreichte sie nur die Nachricht, dass der anhaltische Statthalter des Hamburger Polit-Senkrechtstarters Ronald Schill von nun an Ulrich Marseille hieße und das alleinige Sagen in Sachen Parteiaufbau habe.

Derselbe Unmut über die Verhältnisse im Land, der sie hergeführt hatte, schien sich daraufhin gegen die Hoffnungsträger von elbabwärts zu richten: „Es geht auch ohne Schill und ohne Hamburg!“ und „Warum soll der Knochen zum Hund kommen?“ wurde gerufen. Schließlich auch: „Warum gründen wir nicht eine eigene Partei?“

Jede Form der Kanalisierung latenter Unzufriedenheit scheint derzeit willkommen in Sachsen-Anhalt. Schill in Hamburg musste sich beeilen, die Zügel bei der Ostausdehnung seiner „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ in der Hand zu behalten. Mit Blick auf die Landtagswahl im April 2002 waren in den letzten Wochen falsche Propheten zu Hauf in seinem Namen aufgetreten. „Fünftklassiges Personal, Gestrandete aus anderen Parteien“, ätzt Grünen-Landessprecher Thomas Bichler.

Unter den CDU-Versprengten fühlte sich beispielsweise Wolfgang Koch von einer Wessi-Seilschaft aus seinem CDU-Kreisverband hinausgeekelt. Von Klaus Bierende, Bürgermeister von Egeln und früher in der SPD, wird die Äußerung zitiert: „Wir haben hier hungernde Kinder in der Schule“. Zu den Schill-Sympathisanten zählt auch der ehemalige Landesausländerbeauftragte Wolfgang Kupke, der 1996 als Bündnisgrüner gemeinsam mit anderen früheren DDR-Bürgerrechtlern zur CDU konvertierte.

Auf den Namen Ulrich Marseille aber reagiert Kupke ebenso wie andere potenzielle Schill-Anhänger allergisch. Kupke war es, der 1999 ein Parteiausschlussverfahren gegen das mittlerweile freiwillig ausgeschiedene CDU-Mitglied beantragte. Es blieb möglicherweise deshalb erfolglos, weil von ihm zuvor 40.000 Mark Spende an die Union gegangen waren. Anlass war Marseilles rüdes und demagogisches Gebaren im Halleschen Kommunalwahlkampf.

Mit 1,5 Mio. Mark hatte er eine sogenannte „Mieter- und Bürgerliste“ unterstützt. Marseille gerierte sich als Wohltäter, kochte Obdachlosensuppen, öffnete ein „Kaufhaus ohne Geld“, ließ sogar die graumelierte DDR-Allzweckband „Pudhys“ für sich spielen, ohne ein politisches Programm anzubieten. Am Ende brachte er doch nur vier Vertreter der „MBL“ in den Stadtrat. Gedacht waren sie offenbar als Lobbyisten für seine Immobiliengeschäfte.

1995 und 96 hatte Marseille 2.700 Wohnungen in Hallenser Plattenbauten für weniger als 500 Mark je Quadratmeter gekauft. Als die erhofften Sanierungsprofite ausblieben, verklagte er die Wohnungsgesellschaft auf 115 Millionen Mark Schadensersatz unter anderem wegen Befall mit Küchenschaben. Vergeblich, wie zuvor in Brandenburg.

Seine Streitlust sei ein „fleischgewordenes Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen“, schrieb 1999 das „managermagazin“ über den „unberechenbaren“ Geschäftsmann und den angeschlagenen Ruf seiner Firma. Er pflege einen „selbstherrlichen und zuweilen menschenverachtenden Führungsstil“. Marseille heißt eigentlich Ulrich Hansel; benannt hat er sich nach seinem Klinikimperium. Deutschlandweit sind 3.500 Mitarbeiter in 37 überwiegend der Altenpflege zugeordneten Marseille-Einrichtungen beschäftigt, in Anhalt etwa 800.

Vertreter der etablierten Parteien geben sich angesichts dieses Personariums gelassen. Die Erfahrung der Wähler, die vor vier Jahren blind zu 13 Prozent DVU gewählt hatten und einen völligen Zusammenbruch dieser Partei erlebten, könnte sie vor neuen Hasardeuren warnen, meint PDS-Fraktionsvize Thomas Gärtner. Die Zeitschrift „Wirtschaftsspiegel“ hingegen ermittelte 20,8 Prozent Wahlbereitschaft für eine Schill-Partei, allerdings noch vor Bekanntwerden ihrer Führung durch Marseille. Nur 350 Aufnahmeanträge liegen derzeit in Hamburg vor.

In der kommenden Woche soll in Magdeburg ein Büro eröffnet werden. Gestern wurde gemeldet, dass nun auch in Sachsen die Gründung eines Landesverbands geplant sei. Landesbeauftragte für den Parteiaufbau in Thüringen und Bayern, erklärte die Hamburgerin und frischgebackene Sachsen-Beauftragte Karina Weber, seien mittlerweile ebenfalls ernannt.

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