: Je schlechter, desto gut
Sie performen ganz miserabel und lassen sich vom Publikum beschimpfen. Gleichwohl erfährt das „Schlechtival“ immer größeren Zuspruch – und feiert sein nunmehr schon fünftes Jubiläum
von HENNING KRAUDZUN
Ernesto de la Situatione mit seinen Shakespeare-Sachen war grottenschlecht. Nuschelpeter konnte man nicht verstehen, der fiel beim Publikum sowieso gleich durch. Die Tower-Twins mit ihren „Flugzeugen fliegen im Bauch um“ waren einfach makaber. Und der langweilige Monolog des Graf Leo von Seelöffel war dann ein armseliger Höhepunkt des frühen Abends. Versehentlich löste sich außerdem ein Tränengasschuss aus seiner Pistole, was die ersten Zuschauer in den vorderen Reihen vertrieb. Er sagte nach seinem Auftritt: „Die Leute waren doch zu Tränen gerührt. Aber wir haben sie aus humanitären Gründen gehen lassen.“
„Stinkend, alt und abgegriffen“ – das „Schlechtival“ hat sein Motto voll erfüllt. Eigentlich war alles übel: die sogenannten Darsteller auf der Bühne, das Büffet mit einem ekligen Kartoffelsalat samt grünem Ketchup, die Leute im Saal, das Carlsquell-Bier in Dosen. So war klar, dass irgendwann Pappbecher und Dosen auf die Bühne flogen, dass die Zuschauer pfiffen, johlten, buhten. Die wenigen Highlights kamen dann später, als ich mit viel Wut im Bauch eigentlich schon gehen wollte. Blacky, der Affe aus Afrika, gefiel mit seinen ungestümen Tanzeinlagen auf einem Stuhl. Und als alle schon ziemlich frustriert waren auf den Rängen, durfte Magic Mirco ran. So gotterbärmlich er auch aussah, immerhin klappte sein Zaubertrick: Er konnte tatsächlich den Modellhubschrauber wegzaubern . . .
Oh je, Muse, komm wieder in meine Nähe! Die jämmerlichen Darbietungen auf dem „Schlechtival“ müssen wohl kurzeitig meine Schreibe beeinflusst haben. Glücklicherweise habe ich noch die Kurve gekriegt, wenn ich auch jetzt mit hochrotem Kopf und Unschuldsmiene vor dem Monitor sitze. Aber bitte nicht, lieber Leser, mit allem, was für Sie greifbar ist, nach mir werfen. Schon gar nicht mit Bierdosen, denn dadurch würden auch sie das Niveau dieses miesen Abends erreichen. Geben wir lieber dem Veranstalter die Schuld.
„Im Grunde ist das Festival nicht vordergründig schlecht, sondern besteht aus einem einzigen B- Movie- Effekt“, versucht Olaf Waeger das von ihm alljährlich organisierte Event zu verteidigen. „Alles, was groß sein will, aber eine klassische Bauchlandung hinlegt, findet hier Platz“, spöttelt er über die Bühnenversager. Immerhin kann er nunmehr das Jubiläum des Spektakels feiern und sich darüber wundern, dass die Zahl der Akteure und Zuschauer über die Jahre immer größer geworden ist. „Vielleicht liegt es daran, dass wir das Ganze immer an aktuellen politischen Themen aufziehen“, mutmaßt Waeger.
So habe er in diesem Jahr in der unbegrenzten Solidarität mit Amerika eine ideale Vorlage für die zehnte Auflage des „Schlechtivals“ gefunden. Mit dem Thema „Neues Geld in alten Schläuchen“ wollten Waeger und seine Mitstreiter ein wenig Kritik an der monetären Welt auf die Bühne bringen, mit ihren laienhaften Voraussetzungen. Und dass aktuelle gesellschaftliche Debatten im Theaterdock eine Rolle spielten, dürfte jeder gleich am Einlass bemerkt haben: Dort musste man seinen Fingerabdruck hinterlassen.
Auch wenn man zu später Stunde pausenlos ausgebuht wird und sich einem Hagel von zerbeulten Bierdosen und Feuerzeugen aussetzt, sind viele der „Schlechtival“-Akteure bereits mehrmals angetreten, um den Kampf gegen das gnadenlose Publikum anzutreten. „Meistens haben die Leute in irgendeiner Form schon Bühnenerfahrung“, sagt Waeger. Dennoch sei die angeheizte Atmosphäre von Neulingen schwer zu verkraften. Man müsse eben mit dem nötigen Humor einsteigen und wenn man von der Zuschauermeute angebrüllt werde, einfach zurückschreien, betont Waeger. Ob der Trick, der Strip oder der Gig lausig ist, sei egal. Man sollte seine Schwächen einfach nur als Stärke herauskehren und für die Zuschauer sein Schlechtestes geben. Und ein dickes Fell besitzen.
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