piwik no script img

Wählt Martin Sheen!

Entzauberung des amerikanischen Traums: die US-Erfolgsserie „The West Wing“ gibt einen Einblick hinter den Kulissen des Weißen Hauses. Eine Welt, in der der Präsident staatstragend gucken und reden kann– fast wie im richtigen Leben eben

von TOBIAS MOORSTEDT

Vielleicht wäre der Schauspieler Martin Sheen ja ein guter Präsident für Amerika. Mit seinen Falten um Augen und Mund, den grauen Haaren und den großen Gesten ist Sheen jedenfalls ein Staatsmanndarsteller aus dem Bilderbuch. In der NBC-Politsoap „The West Wing“ spielt Sheen den demokratischen Präsidenten Josiah Bartlet und passt dabei so gut in die Kulisse der hohen Politik, dass der fiktive Präsident Sheen in Amerika beinahe als legitimer Kandidat für die reale Präsidentschaft gilt. Mittlerweile ist Sheen so populär, dass nach dem Wahlchaos des vergangenen Jahres, aus dem George W. Bush als Sieger hervortaumelte, T-Shirts mit der Aufschrift „I voted für President Bartlet“ ein alltägliches Bild auf Amerikas Straßen waren.

„The West Wing“ ist nicht die erste Fernsehserie aus dem Weißen Haus. Das Oval Office ist für Fernsehzuschauer ein fast vertrauter Ort. Jeder Film- und Fernsehpräsident hat hier die Stirn gerunzelt und die Fäuste geschüttelt, hat geredet und entschieden. Doch hinter die schweren Eichenholztüren an der Seite drangen die Kameras bislang nicht vor.

Räume der Macht

„West Wing“ hat die geheimen Räume der Macht für den Zuschauer erobert. Die Serie ist eine detailverliebte Besichtigungstour durchs Weiße Haus, und zeigt dem Zuschauer die Hinterzimmer, die Kantinen, die kahlen Flure und die Kaffeeautomaten. Eben die Orte an denen nicht posiert wird, sondern gedacht und gelenkt.

„Die Fernsehzuschauer sollten nicht wie Idioten behandelt werden“, umschrieb „West Wing“-Produzent Aaron Sorkin vor Jahren mal sein Konzept. Oder anders: Die Leute halten die Realität schon aus. Zusammen mit Produktionen wie „Die Sopranos“, oder „Emergency Room“ betreibt „West Wing“ eine konsequente Entzauberung der amerikanischen Lebenswelt. Diese Serien räumen auf mit dem Traum vom amerikanischen Traum, und zeigen amerikanische Helden in ihrem aussichtlosen Streben nach Glück: Die Polizisten sind korrupt, die Mafiosi neurotisch, die Ärzte drogensüchtig und manchmal sind sie auch nur stinknormal und langweilig.

Dieser Neorealismus ist auch bei „West Wing“ zu finden. Hier sind die Politiker keine heroischen Führer, keine großen Moralisten, keine perfekten Staatsmänner. Sie sind ganz normale Menschen, die sich mit Eheproblemen, Depressionen und Rassendiskriminierung herumschlagen. „West Wing“ ist eine Absage an die amerikanische Politik, die sich gerne als heile Welt darstellt, und kleine Schwäche und große Fehler versteckt und totschweigt.

Erst vor wenigen Wochen fiel ein weiteres Tabu. Der Fernsehpräsident Bartlet erkrankte an Multipler Sklerose, und zweifelte daran, ob eine Wiederwahl möglich sei. Denn in der amerikanischen Politik gilt eine Krankheit genau wie Homosexualität oder Singledasein als Zeichen der Schwäche. Bartlet entschied sich übrigens dafür noch einmal anzutreten.

Damit ist „West Wing“ mal wieder ehrlicher als die Wirklichkeit. Die Geschichte der versteckten Krankheiten im Weißen Haus ist lang. Vom Schlaganfall des Präsidenten Woodrow Wilson erfuhr die Öffentlichkeit nur wenig, Franklin D. Roosevelts Berater achteten peinlich darauf, dass keine Fotos von ihrem Schützling im Rollstuhl gemacht wurden, und als der aktuelle Vize-Präsident Dick Cheney mitten im Wahlkampf einen vierten Herzinfarkt erlitt, wurde die Klinik abgesperrt und erst nach Tagen „ein Gesundheitsproblem“ bestätigt.

Viele der „West Wing“-Autoren haben früher als Redenschreiber oder Medienberater in Washington gearbeitet. Sie kennen die Szene und haben keine Angst ein paar Geheimnisse auszuplaudern. „Wir sind Geschichtenerzähler und unsere einzige Verpflichtung ist es, den Zuschauer zu fesseln“, sagte Produzent Sorkin in einem Interview. Und: „Wir versuchen in der Show nicht zu lügen, und ich weiß, das ist etwas Verrücktes im Kontext der Fiktion“.

Bei „West Wing“ ist das Weltenlenken keine spektakuläre Angelegenheit. Hier wird nicht das Actiondrama gezeigt, sondern das eigentliche Drama: der politische Entscheidungsprozess. Sorkin und Kollegen zeigen nicht die heroischen Soldaten, die einer Geiselnahme einer US-Botschaft mit Blei ein Ende setzen, sondern die Strippenzieher im Hintergrund, die um sprachliche und politische Nuancen kämpfen. „Wir verstoßen wahrscheinlich gegen jedes Gesetz des Fernsehens. Auf dem Bildschirm passiert so gut wie gar nichts“, sagte „West Wing“-Autor Lawrence O’Donnell in einem Interview mit der New York Times.

In Deutschland ist der Fernsehpräsident Bartlet eine weitgehend unbekannte Figur. Trotz enormer Quotenerfolge von „West Wing“ in den USA und insgesamt zehn Emmy-Auszeichnungen hat sich noch kein deutscher Sender die Rechte gesichert. Lizenznehmer in Deutschland ist der Münchner Rechtemakler Kinowelt. „Die Auszeichnungen für die Topserie erhöhen die Attraktivität und Vermarktungschancen erheblich. Wir befinden uns in Gesprächen mit potenziellen Abnehmern“, sagt Marcus Schöfer, Kinowelt-Geschäftsführer. Was er nicht sagt ist: die „potenziellen Abnehmer“ haben offensichtlich keine Lust, mit Kinowelt ins Geschäft zu kommen.

Seit dem 11. September ist eine Serie über den amerikanischen Präsidenten eben eine heikle Sache. Nicht nur in Amerika. Dort machte die Bush-Regierung bereits deutlich, was sie von einer kritischen Darstellung des Washingtoner Innenlebens hält. „Amerikaner müssen zur Zeit aufpassen, was sie sagen, und Acht geben, was sie tun“, sagte der Bush-Sprecher Ari Fleischer, nachdem sich „West Wing“ Anfang Oktober in einer Spezialsendung mit den Terroranschlägen und deren politischen Folgen auseinander setzte. Dabei war die Sorge Fleischers, „West Wing“ könnte seinen Boss in einem schlechten Licht erscheinen lassen, vollkommen unbegründet. Wie üblich verzichtete die Serie auf spektakuläre Außenaufnahmen. Sie verzichtete allerdings auch auf die gewohnt nüchterne und damit irgendwie auch subversive Darstellungsweise der amerikanischen Politik. In einer Szene dieser Spezial-Folge hängt der Vizepräsident mit einer Schulklasse in der Cafeteria fest. Die Kinder sind geschockt. „Warum versucht jeder uns zu töten?“, fragt ein Junge den Vizepräsidenten, der weiße Haare hat, und es deshalb wissen muss. Und die Zuschauer fragen mit: Ja, warum? Der Mann mit den weißen Haaren sagt: „Es ist unsere Freiheit. Deshalb hassen sie uns.“ Und Präsident Bartlet alias Martin Sheen fügte hinzu: „Ihr müsst auch in Zukunft an mehr als einen Wert glauben. Seid so pluralistisch, dass diese Irren verrückt werden.“

Wenn Sheen solche Sätze sagt, dann wirkt der Schauspielerveteran wie der fleischgewordene Traum jedes Politikberaters. So seriös und staatstragend blickt der 68jährige dabei in die Kamera. Privat hat Sheen allerdings weniger übrig für politische Parolen. Als ihn die US-Grünen 1996 fragten, ob er nicht mit Ralf Nader in den Wahlkampf ziehen wolle, antwortete er: „Nein danke. Ich glaube zwar an eure Ideen, Menschenrechte, Umweltschutz, Gesundheitssystem und so weiter, aber ich bin für die Politik einfach zu ehrlich.“ Vielleicht wäre Martin Sheen wirklich ein guter Präsident.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen