: Startschuss für Frieden
Bis zuletzt wird um die Teilnahme an der Afghanistankonferenz auf dem Bonner Petersberg gefeilscht
von SVEN HANSEN
Die entscheidende Eingebung für die politische Zukunft Afghanistans könnte aus „Sachsen-Anhalt“ kommen. Der nach dem ostdeutschen Bundesland benannte Salon des Gästehauses auf dem Petersberg bei Bonn ist der Raum des mondänen Gebäudekomplexes, der am deutlichsten nach Mekka weist. „Sachsen-Anhalt“ bietet sich deshalb für die Gebete der Delegierten an. Und Beten könnte dringend nötig sein. Denn ein glücklicher Ausgang der von der UNO organisierten Konferenz, die in Afghanistan eine Übergangsregierung installieren und den Weg in die politische Zukfunft des Landes weisen soll, ist keineswegs sicher.
Es ist schon ein großer Erfolg der beiden UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi und Francesc Vendrell, die vier geladenen Gruppen – die Nordallianz und die so genannte Peschawar-, Zypern- und Rom-Gruppe – überhaupt so kurzfristig an einen Tisch zu bekommen, während in Afghanistan noch gekämpft wird. Ein entsprechend chaotisches Bild bietet sich im Vorfeld. Der Konferenzbeginn wurde von heute auf Dienstag verschoben, weitere Verzögerungen werden nicht ausgeschlossen.
Die von Rivalitäten geschüttelte Nordallianz streitet noch heftig um die Zusammensetzung ihrer Delegation. Bis gestern stand nur fest, dass eine elfköpfige Delegation kommen will, die vom so genannten Innenminister Junus Kanuni geführt wird. Zumindest hatte er das am Freitag angekündigt. Auch eine Frau soll zu ihr gehören. „Ich habe bereits mehrere Listen mit verschiedenen Namen gesehen“, sagte der in Aachen lebende Sprecher des Exilbündnisses „Allianz der Demokratie für Afghanistan“, Rangin Dadfar Spanta, der taz. „Erst der Druck der USA hat dafür gesorgt, dass die Nordallianz an der Konferenz teilnimmt. Doch solange die Machtverhältnisse vor Ort nicht klar sind, wird auch eine Einigung bei der Konferenz schwer werden.“
Paschtunen uneins
Eigentlich wollte Konferenz-Gastgeber und Moderator Lakhdar Brahimi nur maximal 30 afghanische Vertreter einladen, die sich mit ihm und den anderen UN-Vertretern als einzige weitere offizielle Teilnehmer beraten sollen. Doch Spanta rechnet damit, dass die Zahl der Teilnehmer noch vergrößert wird, um verschiedene Fraktionen innerhalb der Gruppen besser berücksichtigen zu können.
Uneinig sind sich nämlich auch die Paschtunen. So hatte sich die vor einem Monat in Peschawar tagende gleichnamige Gruppe nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Am Wochenende kursierten Gerüchte, dass Einzelpersonen außerhalb der vier Gruppen noch einbezogen werden könnten wie zum Beispiel eine Vertreterin der Frauenorganisation Rawa. Vertreter der Taliban werden allerdings nicht da sein.
Dauer ist noch unklar
Für die Beteiligung ausländischer Delegationen wurde eine informelle Lösung gefunden, wie die taz aus diplomatischen Kreisen erfuhr. Offiziell dürfen die Vertreter anderer Staaten nicht mal als Beobachter teilnehmen. Dies soll die Konferenz zum einen davor schützen, später als von außen dominiert denunziert zu werden. Zum anderen hätte sich die UNO sonst auch darauf einigen müssen, welche Staaten beteiligt werden, etwa die Gruppe der „Sechs plus zwei“ (Afghanistans Nachbarländer plus USA und Russland) oder die „Gruppe der 21“. Jetzt könnten interessierte Regierungen informelle Delegationen nach Bonn schicken, die dort hinter den Kulissen agieren.
„Das Ausland ist aber ohnehin schon vertreten, da alle beteiligten Gruppen auch als Vertreter ausländischer Interessen gesehen werden“, sagt Almut Wieland-Karimi, Afghanistan-Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung. So werde die Nordallianz zum Beispiel von Russland und Indien unterstützt, die Zypern-Gruppe von Iran, die Peschawar Gruppe von Pakistan und die Rom-Gruppe um den Exkönig von den USA und Italien.
Wieland-Karimi vermisst bei der Konferenz vielmehr die Teilnahme von Gruppen aus Afghanistan, die nicht bewaffnet sind und nicht über von außen künstlich überhöhte ethnische Merkmale definiert werden. Ihre Beteiligung vermissen inzwischen offenbar auch die beiden UN-Sonderbeauftragten. Ab Donnerstag soll deshalb in Bad Honnef bei Bonn eine zweite informelle Konferenz stattfinden, zu der 40 afghanische Zivilvertreter eingeladen sind.
Verläuft auf dem Petersberg alles nach dem 5-Punkte-Plan, den Brahimi vor zwei Wochen in der UNO vorlegte, einigen sich die Teilnehmer entweder auf einen etwa 15-köpfigen Exekutivrat, der eine Übergangsregierung bildet und eine Stammesversammlung (Loja Dschirga) einberuft, die dann eine Verfassung ausarbeitet. Oder aber die Petersberger Konferenz beruft gleich eine große Versammlung ein, die dann den Exekutivrat bestimmt. Die Frage nach der Entsendung einer bewaffneten Friedenstruppe soll zwar kein offizielles Thema sein, dürfte aber bei vielen Diskussionen mitschwingen.
„Wichtig ist, dass man sich auf einen Prozess einigt, der dann weitere Kräfte einbezieht“, meint Wieland-Karimi. Während die Dauer der Konferenz unklar ist – das sich als nur technischer Gastgeber sehende Auswärtige Amt veranschlagt zunächst eine Woche –, wird von verschiedenen Seiten versucht, die Erwartungen zu dämpfen. Der Präsident der Nordallianz, Burhanuddin Rabbani, bezeichnete die Konferenz bereits als „nur symbolisch“. Das weckte Zweifel, ob er und die Allianz wirklich zu einer Machtteilung bereit sind. Doch auch Exkönig Zahir Schah ließ über seinen Sprecher ausrichten, er habe geringe Erwartungen an das Treffen. Eine Einigung auf eine Übergangsregierung sei allerdings schon ein Erfolg. Auch der stellvertretende UN-Beauftragte Vendrell stapelte vorsorglich tief: Das Treffen sei zwar „ein guter Start“, ein schneller Durchbruch zur Bildung einer Übergangsregierung sei jedoch unwahrscheinlich. Es grenzte in der Tat an ein Wunder, wenn über zwanzig Jahre Krieg am Hindukusch auf dem Petersberg beendet werden könnten.
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