: Feines Fest in Flammen
Die Wahrheit feierte bis in die Nacht ihren zehnten Geburtstag – trotz Hausmeisterterror
Es hätte das Fest des Jahres, ja wenn nicht sogar des Jahrzehnts werden können. Alles war bestens vorbereitet: Hunderte frisch gespitzte Bleistifte lagen für den signierwilligen Starzeichner ©Tom bereit, unzählige taz-Mitarbeiter hatten sich zum freiwilligen Wochenenddienst an Bars und Sicherheitsschleusen gemeldet. Das Spardosenterzett hatte extra für den Anlass neue Stücke komponiert und Silbenjongleur Fritz Eckenga eine Ode an die Wahrheit gedichtet. Und nicht zuletzt hatte eine Spezialeinheit des irischen Auslandsgeheimdienstes das Berliner Schiller-Theater nach Spuren von biologischen Kampfstoffen gescannt, um die Unversehrtheit Seiner Exzellenz Noel Fahey beim größten gesellschaftlichen Ereignis außerhalb Dublins zu gewährleisten. Doch trotzdem hätte das Wahrheitfest am Samstag beinahe ein schreckliches Ende genommen.
Wäre da nicht ein Mann gewesen, um dessen Identität sich mehr Mythen ranken als um Clark Kent und Bruce Wayne zusammen. Sein wahrer Name ist uns ebenso ein Rätsel wie seine eigentliche Funktion im Hause Schiller. Seine Tarnkleidung besteht aus robusten Dr.-Scholl-Arbeitssandalen, ausgebleichten Jeans und einem multifunktionellen Karohemd. Unschlagbar ist seine technische Ausrüstung: Am Gürtel baumelt ein Bund titangehärteter Spezialschlüssel, aus der Gesäßtasche ragt eine leuchstarke Mag-Lite-Taschenlampe und um den Hals baumelt ein zigarettenschachtelgroßes Satellitenfunkgerät. Sein Deckname: der Telebär.
In einer heldenhaften Einmannaktion rettete der Telebär das Fest, das mitsamt seinen illustren Gästen, neben dem irischen Botschafter auch die gesamte taz-Chefredaktion und jede Menge Wahrheitklub-Mitglieder, ein Raub der Flammen zu werden drohte. Seine große Stunde schlug, als nach der ersten Pause des Lese- und Kalauermarathons die Herren Sotscheck und Rowohlt die Bühne betraten. In bester Wahrheit-Tradition begannen die beiden, noch bevor ein einziges Wort ihren Kehlen entsprang, dicke Wolken von Qualm auf der Bühne zu verteilen. Getreu dem Motto: Wenn schon alle anderen die Wahrheit verschleiern, dann produzieren wir noch größeren Nebel. Und schließlich mussten die Tonnen von Zigarren, die das Lieblings-Wahrheitklubmitglied, Nummer 0000000684, als Geburtstagspräsent mitgebracht hatte, ja irgendwie entsorgt werden. Diese Notwendigkeit erschloss sich jedem im Auditorium – nur nicht dem Telebär. Wusste er doch als Einziger ganz genau, welche Gefahren offenes Feuer auf der High-Tech-Bühne des Schiller-Theaters birgt.
Es blieb unserem Hausmeister-Helden also gar nichts anderes übrig, als einen hochstehenden taz-Funktionär zu beauftragen, die Übeltäter davon zu überzeugen, das Rauchen einzustellen. Anderenfalls, so drohte der Telebär vom Bühnenrand, werde er den Vortragenden eigenhändig die Glimmstengel entreißen. Zu Recht fühlte sich Harry Rowohlt, der Dramatik der Situation nicht bewusst, gemaßregelt und polterte: „Die Feuerwehrleute – was hatten wir nach dem 11. September für eine hohe Meinung von denen.“
Dank des selbstlosen Einsatzes des Telebärs war das Geburtstagsfest jedoch gerettet. Ein Geistesblitz folgte auf der Nichtraucherbühne dem nächsten. Wiglaf Droste entdeckte den Feminismus als seine neue Stärke, und Wahrheitklub-Exilvorstand Carola Rönneburg erzählte, wie gern sie Vater wäre. Auch der heiß ersehnte Bauchcontest ging ohne Zündelei über die Bühne: Mangels Konkurrenz verteidigte der Dubliner Champion Ralf Sotscheck den Titel und erhielt verdientermaßen eine Flasche leckeren Whiskey vom Sponsor Jameson. DANIEL FERSCH
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