: Lücken im Gedächtnis
Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 war in deutschen Sportvereinen kein Platz mehr für jüdische Mitglieder. Heute will man sich daran nicht nur bei TeBe Berlin nicht mehr erinnern
von THOMAS JAEDICKE
Bis heute ist es den immer noch konservativ denkenden Männern an der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), mit sechs Millionen Mitgliedern mächtigster Sportverband der Welt, eine Last, sich mit seiner Vergangenheit während der Nazidiktatur zu beschäftigen. Erst jetzt hat der DFB den als extrem konservativ geltenden Bonner Historiker Klaus Hildebrand beauftragt, durchaus vorhandenes Quellenmaterial zu sichten und auszuwerten.
Auch in den Klubräumen des einstigen Bundesligisten Tennis Borussia Berlin, mittlerweile in die viertklassige Oberliga abgestiegen, scheint man sich schwer zu tun, die Vergangenheit aufzuarbeiten. „TeBe war ja immer ein Verein mit gehobenen Ansprüchen“, sagt der neue Vereinspräsident Klaus Schumann. Der 66-jährige Rentner ist seit 1952 Mitglied bei den Borussen, die im nächsten Jahr ihren 100. Geburtstag feiern. Im noblen Berliner Westend hätten sich stets die etwas feineren, gebildeteren Herrschaften die Ehre gegeben, eine Zeit lang wurden sogar nur Abiturienten in den Klub aufgenommen. In den 30er-Jahren waren hier Sepp Herberger und Otto Nerz, beide Schlüsselfiguren des deutschen Fußballs und mit NSDAP-Parteibuch ausgestattet, als Spieler und Trainer aktiv. Doch Tennis Borussia war 1933, bei der Machtergreifung der Nazis, auch einer der deutschen Fußballvereine mit den meisten jüdischen Mitgliedern –sowohl im Vorstand als auch unter den Spielern.
Erinnerung fehlt
„Nach meiner Kenntnis ist damals die Gauleitung massiv gegen TeBe vorstellig geworden, sich dieser Mitglieder zu entledigen“, erinnert sich Schumann. Im ersten und zweiten Anlauf sei dies nicht gelungen, die Generalversammlung des Vereins habe sich einstimmig dagegen ausgesprochen. „Aber letztlich musste man dann doch der Macht der Nazis nachgeben und diese Mitglieder bitten, den Verein zu verlassen.“ Was aus den jüdischen Sportsfreunden geworden ist, weiß Klaus Schumann nicht. Beinahe entschuldigend zuckt der Präsident mit den Schultern: „Diese Zeit wurde auch hier nicht besonders gepflegt. Nach dem Kriege wollte man sich ja an manche Dinge nicht so erinnern.“
Der britische Sportjournalist Mike Ticher hat eine wissenschaftliche Arbeit über jüdische Fußballer in Berlin zwischen 1890 und 1933 geschrieben, Tennis Borussia ist dabei ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Ticher recherchierte, dass TeBe einer der ersten Vereine war, die ihren jüdischen Mitgliedern die Tür wiesen. In vorauseilendem Gehorsam habe man damals bei TeBe gehandelt, noch bevor die Anweisungen der Nazis, die Vereine judenfrei zu halten, verbindlich wurden. „Viele Vereinsmitglieder aus der jüdischen Bevölkerung gingen ins Exil“, sagt Ticher, „und natürlich sind auch viele von ihnen in KZs umgebracht worden.“
Bei seinen Recherchen in den Archiven der Berliner Bibliotheken und Verlage gelangte Mike Ticher relativ problemlos an alle Informationen, die er brauchte. Bei Tennis Borussia jedoch stieß er auf taube Ohren. Der 37-jährige Brite hatte den Eindruck, dass der Verein nicht sonderlich interessiert sei an der eigenen Geschichte. Für ihn ist diese Reaktion durchaus vergleichbar mit der DFB-Position zur Nazizeit. „Bis heute sehen sie sich auch in den Vereinen als unpolitische Organisation, die irgendwie von den Ereignissen, über die sie keine Kontrolle hatten, heimgesucht wurden“, stellt Ticher fest. „Diese Haltung dient nur dazu, mangelnde Zivilcourage zu verbergen. Denn sie haben sich den neuen Regeln der Nazis sehr schnell und sehr leicht angepasst.“
Systematisch hatten Männer wie der Reichssportführer Hanns von Tschammer und Osten nach 1933 daran gearbeitet, auch den Sport den Interessen der NSDAP unterzuordnen. Seitens des DFB und der ihm angeschlossenen Vereine verschanzt man sich bis heute gern hinter der Behauptung, dass nicht aus ideologischer Übereinstimmung, sondern nur aus taktischen Gründen mit den Nazis zusammengearbeitet worden sei. Der Sporthistoriker Arthur Heinrich sieht das anders. Er will zwar keinesfalls behaupten, „dass die DFB-Vertreter Nazis waren“. Aber sie seien zumindest Leute gewesen, „die aufgrund ihrer politischen Ausrichtung, ihrer ideologischen Fundierung, keine Probleme hatten, sich in diesem Nazireich einzurichten“.
Schuldgefühle
Kurt Manthey ist Jahrgang 1927. Er spielte von 1946 an als 19-Jähriger bei den nach dem Krieg wiedergegründeten Tennis Borussen. Und der 73-Jährige ist einer der wenigen Alt-Borussen, die bereit sind, über die Vergangenheit zu reden. Damals, als Nachbarn einfach abgeholt wurden und nie wieder auftauchten, war er noch ein Kind. Was mit den jüdischen Sportlern Anfang der 30er-Jahre bei TeBe oder in anderen Vereinen geschah, konnte er als kleiner Junge noch nicht wahrnehmen. Nach dem Krieg seien einige der jüdischen Mitglieder bald wieder im Verein aufgetaucht. Im Prinzip, so Manthey, sei man beiderseits einfach zur Tagesordnung übergegangen; die Vergangenheit wurde ausgeblendet: „Man wollte einfach verheimlichen oder unterdrücken“, gibt Manthey zu. „Man fühlte sich schuldig.“
Auch bei TeBe stieß Mike Ticher mit seinen Fragen nach der Vergangenheit auf verschlossene Türen. Genau wie der Sporthistoriker Arthur Heinrich sieht er die Ursachen dafür zum Teil in einer gewissen Kontinuität im Denken. Sowohl beim DFB als auch in den Vorständen vieler Fußballklubs waren nach dem Zweiten Weltkrieg die Schlüsselpositionen zum Teil mit denselben Personen wie vor dem Krieg besetzt. Ticher meint, dass nach 1945 entscheidende Fehler gemacht worden seien. „Damals haben diese Leute es versäumt, ihren Klubmitgliedern zu erklären, was passiert war“, meint Ticher. „Auch für die Leute von TeBe wäre es wichtig, sich die Vergangenheit einzugestehen, um die historischen Lücken auszufüllen.“ Material gäbe es genug, „um herauszufinden, wer die Mitglieder waren, wer den Verein verlassen musste und was später aus diesen Menschen wurde“.
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