: Adolf Eichmann auf die Bühne gestellt
■ Studie zum autoritären Charakter: Das jüdische Theater Schachar inszeniert die Memoiren einer Nazi-Größe
Wer Memoiren schreibt, will der Welt ein bestimmtes Bild von sich vermitteln. Nichts anderes hatte Adolf Eichmann im Sinn, als er 1960 in einer israelischen Gefängniszelle mit der Aussicht auf den sicheren Tod saß. Als Berliner Bürokrat hatte er die Vernichtung von Juden maßgeblich mitorganisiert. Nach dem Krieg war er in Argentinien untergetaucht und dort 1960 vom israelischen Geheimdienst entdeckt worden. Nun musste er sich vor Gericht rechtfertigen.
Die dramatisierte Form der Eichmann-Memoiren entstand für eine Aufführung am Jewish Theatre in New York. Diesen Text hat Regisseur Daniel Haw als deutsche Erstaufführung im Hamburger Theater Schachar auf die Bühne gebracht. In roter Anstaltskleidung sitzt der zum Tode verurteilte Eichmann in seiner Zelle. Zwei kleine Fenster sind in unerreichbarer Höhe, die Tür führt ins Nichts. Vor diesem Hintergrund entwickelt die Bühnenfigur ihre Verteidigung. Nur ein Rädchen im Getriebe sei er gewesen, habe nur Befehle ausgeführt. Überhaupt habe er keinen einzigen Juden selbst getötet.
In New York wurden diese Aussagen mit Dias von Gräueltaten kontrastiert. Darauf hat Haw verzichtet: „Eichmann erscheint bei uns als großer böser Kasper. Er redet sich um Kopf und Kragen.“ Dass Eichmann beim Publikum stellenweise Sympathie weckt, sei durchaus Absicht der Inszenierung. Haw will einen Menschen zeigen, der sich durch Brüche selbst entlarvt. Eine Grenze des Verstehens sieht der Regisseur dennoch: „Wir können nicht nachvollziehen, wieso jemand seinen Ethos verdrängt und zum Mörder wird.“
Das zweite große Thema des Stückes ist nicht weniger problematisch. Eichmann vergleicht seine Rolle mit der von jüdischen Gemeindevorstehern, die mit den Nazis zusammenarbeiten mussten. Sich hiermit auseinander zu setzen ist ebenfalls Teil der Erinnerungsarbeit, die sich das Theater Schachar bei diesem Stück zum Ziel gesetzt hat. Schließlich sei der Hinweis auf die Schuld anderer noch heute eine Strategie, um sich reinzuwaschen, betont Haw die Aktualität einer solchen schmerzhaften Auseinandersetzung.
Die Rolle des Eichmann wird von Robert Lenkey gespielt. Der ungarische Schauspieler hat als Kind die Naziherrschaft miterlebt. Der Monolog dauert knapp zwei Stunden und ist mit Musik unterlegt, die der Komponist Willie Jakob für die Hamburger Aufführung komponiert hat. Erfreut war Regisseur Haw, dass bei der Premiere Mitte November auch gelacht wurde, obwohl es am Ende erst mal schwer fällt zu applaudieren. An wen sich das Stück richtet? „An wen nicht?“, kontert Haw.
Christian Rubinstein
nächste Vorstellungen: heute, morgen, Sa., 1.12. + Sa., 8.12., 20 Uhr, Haus Drei (Hospitalstr. 107); Kartentelefon: 32 87 14 15
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