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Die Aufgabe des sanften Veteranen

Otto-Ernst Duscheleit war im Zweiten Weltkrieg bei der Waffen-SS. Heute demonstriert er gegen den Krieg und berichtet Schülern von seiner Feigheit als Mitläufer. Gestern hat er die wieder eröffnete „Wehrmachtsausstellung“ besucht

von PHILIPP GESSLER

„Mir steht doch jetzt das Panzersturmabzeichen in Silber zu.“ Wenn Otto-Ernst Duscheleit heute über diesen Satz nachdenkt, kann er nur noch ratlos mit dem Kopf schütteln. War dies doch das erste, was er seinem Kommandeur sagte, als er Anfang 1944 aus seinem getroffenen Panzer kletterte, mit Verbrennungen am Gesicht, einer Wunde am Kopf, aber lebend. Seinen Kameraden im Panzer, den Fahrer, hatte es erwischt. Er verbrannte neben ihm „wie eine Fackel“, erinnert sich der 76-jährige Berliner. Panzerfunker Duscheleit aber bekam tatsächlich sein Panzersturmabzeichen. In Silber. Die Nadel machte sich gut auf der schwarzen Uniform der Waffen-SS.

Duscheleit ist heute unscheinbar in grau gekleidet, nichts Zackiges ist mehr an ihm. Langsam und gedankenversunken läuft er an den weißen Schautafeln der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“ in den Hallen der „Kunst-Werke“ (KW) in Mitte vorbei. Es ist die überarbeitete, ja fast völlig neu konzipierte Fassung der berühmten „Wehrmachtsausstellung“, die die folgenreichste Schau in der Geschichte der Bundesrepublik war: bekämpft von Neonazis und Wehrmachtsveteranen, Anlass erbitterter Debatten, Ziel eines Bombenanschlags. Eine Ahnung von diesen Kämpfen vermittelt die Tatsache, dass die ein wenig versteckte Ausstellung im Hof eines schmucken Altbaus an der Auguststraße von Polizisten geschützt werden muss. Übermorgen wollen hier Neonazis dagegen protestieren, dass der angeblich unbefleckte Waffenrock der Wehrmacht durch die Ausstellung in den Schmutz gezogen wird. Die Schau räumt endgültig mit der Lebenslüge der frühen Bundesrepublik auf, wonach die Wehrmacht nicht Teil des nationalsozialistischen Mordapparates gewesen sei und der deutsche Soldat in der Regel keine Schuld an der Schoah und dem Vernichtungskrieg an der Ostfront habe.

Spitzname: „Fräulein“

Duscheleit sind solche Ausflüchte fern – obwohl es wohl nur Glück war, dass er nicht selber Kriegsverbrechen begangen hat. „Was mir erspart geblieben ist!“ murmelt er vor einer Schautafel, die ein solches Verbrechen darstellt. Zu sehen ist ein Foto, das zur Ikone der Wehrmachtsausstellung geworden ist: Es geht um die Hinrichtung von 36 wahllos aufgegriffenen Zivilisten am 21. und 22. April 1941 im serbischen Pančevo. Sie wurden als Vergeltung für die Ermordung eines SS-Mannes exekutiert: erhängt oder an einer Friedhofsmauer erschossen. Verantwortlich für das Kriegsverbrechen war die SS-Division „Das Reich“. Zu ihr sollte Duscheleit nach seiner Ausbildung bei der Waffen-SS kommen. Nur eine Krankheit verhinderte das. So blieb er in seiner Division „Nordland“.

„Ich hatte immer wieder – was weiß ich – Glück“, sagt Duscheleit auf seinem Rundgang in Erinnerung an andere Kriegserlebnisse, die er überlebte – oder die dafür verantwortlich waren, dass er selbst nie an Kriegsverbrechen beteiligt war, wie er sagt: „Ich dachte immer, Gott ist bei mir.“ Vielleicht war das ja wirklich so, meint er, womöglich habe er ja noch eine „Aufgabe“, die er zu erfüllen habe.

Die sieht der ehemalige Besitzer einer Süsswaren- und Spirituosen-Unternehmung seit etwa 15 Jahren darin, in Schulen, bei öffentlichen Diskussionen und im Kontakt mit Überlebenden des Krieges oder der Schoah von seinem Werdegang zu erzählen – und vielleicht ist der gerade deshalb so fesselnd, da darin nichts Heldenhaftes ist: „Ich war angepasst“, sagt der gebürtige Ostpreuße: Anders als sein älterer Bruder Ulrich, der sich vom überzeugten Nazi zu einem Gegner des Regimes entwickelte, zweimal deshalb in ein Straflager kam und sich vor der dritten Internierung das Leben nahm. Anders als sein jüngerer Bruder Gerhard, der immer das Maul aufmachte, mit 17 Jahren an die Front kam und Ende September 1944 in Lettland fiel. Anders auch als seine Mutter, die das Elternhaus zu einem Zentrum der Bekennenden Kirche in Insterburg machte – und zwei ihrer drei Söhne verlor.

„Fräulein Duscheleit“, diesen Spitznamen verpassten einige Otto-Ernst Duscheleit, diesem sanften Jungen, der eigentlich ein Mädchen werden sollte. In der Hitlerjugend war er Hauptscharführer, fiel aber auf der „Gebietsführerschule“ durch, da er bei Prügeleien „nicht so hart“ war, erzählt er. Anfang 1943 wurde Duscheleit regulär zum Arbeitsdienst, einer paramilitärischen Ausbildung, eingezogen. In dieser Zeit drohte ein SS-Offizier vor seiner Einheit, dass jeder in ein lebensgefährliches Strafbataillon an die Front kommen werde, der sich nicht freiwillig zur Waffen-SS melde. Aus „Angst“ meldete sich Duscheleit. Bald erhielt er die Uniform mit den beiden SS-Runen und dem Totenkopfemblem.

Vor der Tafel „Verbrannte Erde“ nickt Duscheleit: „Das war der Befehl.“ Kriegsverbrechen habe er nicht begangen, von der Ermordung der Juden nichts gewusst. Aber seine Panzereinheit habe in Russland auf dem Rückzug sinnlos Dörfer zusammengeschossen. Die Bilder habe er noch im Kopf. Diese Taten verzeiht er sich bis heute nicht. Auch nicht, dass er still zusah, wie ein Kamerad in den letzten Kriegswochen vor seinen Augen hingerichtet wurde, da er nicht rechtzeitig vom Urlaub zurückgekommen war. Der SS-Kommandeur, der das angeordnet hatte, war kurz danach als einer der ersten zu den Amerikanern getürmt. Vor allem aber nagt an Duscheleit, dass er vor einem anderen Soldaten seinen älteren Bruder Ulrich verleugnete, weil es schien, als habe der etwas mit dem Attentat am 20. Juli 1944 zu tun: Dass er seinen Bruder verraten habe, habe ihm seine Mutter noch auf dem Sterbebett vorgeworfen, erzählt der alte Veteran.

Die Freitags-Demo

„Überfällige Debatte wird endlich geführt“, liest Duscheleit auf einer Schautafel, die die Reaktionen auf die erste Wehrmachtsausstellung dokumentiert. Er hat die Konsequenzen aus seinen Brüchen, auch aus der Verdrängung seiner Geschichte gezogen: Jeden Freitag demonstriert er zwischen 17 und 18 Uhr vor der Gedächtniskirche „gegen Krieg“. Immer wieder erzählt er seine Geschichte, berichtet von der Feigheit eines Mitläufers, von der Schuld eines Soldaten an der Ostfront. Seine alten Kameraden „wollen oft gar nicht darüber reden“, sagt Duscheleit. Gerade mit jungen Menschen müsse man darüber sprechen, schon der neuen Rechtsradikalen wegen. Das sei ja „so akut geworden“.

Vor einigen Jahren traf Duscheleit nach einer Podiumsdiskussion mit einem in schwarz gekleideten Neonazi zusammen. Der fuhr ihn an: „Wie können Sie als Hauptscharführer der Hitlerjugend so reden?“ – „Ich habe dazu gelernt“, antwortete Duscheleit. Der Mann habe nichts mehr gesagt, sondern den Saal verlassen. Versonnen schaut Duscheleit auf die Tafeln der Ausstellung. „Ich habe dazu gelernt“, wiederholt er.

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