piwik no script img

dinge halten lebenslänglich – garantiert von KATHRIN PASSIG

Der 400 Seiten starke Katalog des Manufactum-Versandhandels bietet immer wieder unterhaltsame Lektüre: Leser, die sich keine Kaffeemühlen aus mundgeblasenem ligurischem Bakelit leisten mögen, können sich immer noch an Vokabeln wie „blaugepließtet“ und „feingereidet“ erfreuen. Bedrückend ist einzig die Langlebigkeit aller Artikel. Will man tatsächlich einen Gartenschlauch haben, der länger lebt als man selbst? Selbstgefällig ringelt er sich im Hof und höhnt: Dein Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig gewesen! „Es sind starke, solide, endlos haltbare Geräte“, bekräftigt ungefragt der Katalog.

Haltbarkeit, möchte man der Firma seufzend mitteilen, ist kein Vorzug. Sie ist die unangenehmste Eigenschaft der Dinge, denn sie haben sie uns voraus. Was aus den 129 Teilnehmern der Franklin-Expedition von 1845 wurde, ist weitgehend ungeklärt. Über den Verbleib ihrer Hemdknöpfe, Gürtelschnallen und Pfeifenstiele aber braucht man nicht zu spekulieren: sie liegen heute noch in der Arktis herum. Und die Uhr in Form eines Messingdelphins, die Christopher Isherwood 1930 überlegen ließ: „Was wird aus solchen Sachen? Wie könnten sie jemals vernichtet werden? Wahrscheinlich werden sie Tausende von Jahren heil bleiben . . .“ wird ihm bei einem Berlinbesuch 1952 von seiner ehemaligen Zimmerwirtin als Geschenk überreicht. „Die Uhr war von einer Bombendetonation quer durchs Zimmer geschleudert worden, hatte aber nur ein paar Kratzer an ihrem grünen Marmorsockel abbekommen. Noch heute steht sie, so gut wie neu, auf meinem Schreibtisch und tickt vor sich hin, während ich diese Worte schreibe.“

Andere Dinge haben ein Einsehen, wie die Uhr Friedrichs II., die anlässlich seines Ablebens in der Nacht zum 17. August 1786 um 20 Minuten nach zwei stehen blieb. Das erscheint mir vernünftig: lebenslänglich und keine Minute länger.

Fast noch schlimmer sind Ideen – sie halten ewig, auch wenn sie mit schlechtestem Werkzeug gebaut werden und fälscher sind als die euklidische Geometrie. Aber Ideen stehen nicht nachts vorwurfsvoll um mein Bett herum und sagen: „Du bist für uns verantwortlich, schlepp uns von Umzug zu Umzug mit, damit wir dich am Ende überleben können.“ Ein Gedanke, der mich inneneinrichtungstechnisch paralysiert.

Meine Therapeutin findet, ich müsse nur lernen, delphinförmige Gegenstände als Objektivationen einer Idee zu erkennen. Aber auf diesen Gedanken kam auch Platon wahrscheinlich nur, weil ihn der Manufactum-Katalog frustrierte. Stattdessen schöpfe ich Trost aus dem Gedanken, mich dereinst unter einem Grabhügel aus meiner gesamten Habe bestatten zu lassen. Man kann zwar angeblich nichts mitnehmen, aber man kann es zumindest versuchen; mit dem Fluggepäck klappt’s ja schließlich auch hin und wieder.

Wiedergeboren würde ich dann gern als Flechte. Um mich herum entstehen und vergehen Zivilisationen, während ich mich zufrieden an den Stein kralle. Nur mit der lebenslänglichen Garantie auf Kaffeemühlen ist es jetzt wohl Essig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen