: „Wir können es schaffen“
Interview DOMINIC JOHNSON
taz: Frau Kaleeba, nach den neuesten UN-Zahlen geht die Aids-Infektionsrate in vier Ländern zurück: Uganda, Senegal, Sambia und Tansania. Haben Sie die Trendwende geschafft?
Noerine Kaleeba: Ja. In Uganda haben die Neuinfektionen erheblich abgenommen. Der Gebrauch von Kondomen nimmt zu. Das durchschnittliche Alter, in dem Mädchen ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen, ist von neun auf 14 Jahre gestiegen. Und die Haltung gegenüber Infizierten hat sich verändert. Wer in Uganda positiv getestet wird, kann das heute seiner Familie sagen. Sie wird es akzeptieren.
Wie haben es diese Länder geschafft, die Infektionsraten zu senken?
Es gibt mehrere Faktoren. Da ist einmal das größere politische Engagement. In diesen Ländern haben die Politiker das Problem erkannt und wollen etwas dagegen tun. Und sie reden nicht nur darüber, sondern stellen Gelder zur Verfügung. Weiter geht es um die Einbeziehung der Gesellschaft und auch der direkt Betroffenen. Von Aids sind nicht nur die Infizierten betroffen, sondern auch ihre Familien. Offenheit ist daher sehr wichtig. Normale Familien pflegen gern die Legende: Wir haben mit Aids nichts zu tun, wir sind anders. Wenn sie aber sehen, dass eine Familie betroffen ist, die genauso ist wie sie, öffnen sie sich. Wichtig ist außerdem die Forschung. Lange Zeit dachte man, Aids-Forschung sei etwas für den reichen Norden. Aber Forschung, die Gesellschaften dabei hilft, im Umgang mit Aids eigene Wege zu entwickeln, ist ein Schlüssel zur wirksamen Bekämpfung von Aids. Wir wissen jetzt, dass man es schaffen kann.
Ohne Vertrauen der Menschen in ihre Regierung geht das alles nicht.
Natürlich müssen die Leuten ihren politischen Führern vertrauen, um sich führen zu lassen.
Es gibt viele Länder in Afrika, in denen ein solches Vertrauen nicht existiert, in denen zum Teil Krieg herrscht und es nicht einmal handlungsfähige Regierungen gibt. Dort steigen die Aids-Infektionsraten stark an. Was ist dort möglich?
Die UNO führt zurzeit in der Region der Großen Seen Untersuchungen durch, um zu sehen, welche Ansätze es in Bürgerkriegsländern und Ländern ohne funktionierende Regierung bei der Bekämpfung von Aids gibt. Noch haben die Forscher keine Antwort. Klar ist, dass die Gesellschaften ihre Antworten selbst entwickeln müssen. Die wichtigste Rolle spielen dabei die Religionsgemeinschaften. Sie sind die letzten Bindeglieder in Ländern ohne funktionierenden Staat.
Die katholische Kirche ist ja sehr zurückhaltend, was den Umgang mit Aids angeht. Sie lehnt sogar Kondome ab.
Es ist möglich, die Kirche dazu zu bringen, dass sie ihre moralischen Werte mit der Notwendigkeit von Aids-Prävention vereinbart. Sie soll ja nicht für Kondome werben, aber sie soll ihre Verwendung zumindest nicht verdammen. Wir nennen das die ABC-Strategie: Abstain, Be Faithful, Condom Use (zu deutsch: übe Enthaltsamkeit, sei treu, nutze Kondome): Die Kirche kann für A und B eintreten, ohne zugleich C zu verurteilen. In Tansania hat Unaids die „Flotte der Hoffnung“ ins Leben gerufen: In der biblischen Sintflut steckte Noah Lebewesen in Boote, damit sie überleben. Wir setzen A, B und C mit drei Booten gleich, und jeder Mensch sollte sich in eines dieser Boote setzen. Die Kirche kann für Boote A und B werben. Wer sich zu Enthaltsamkeit und Treue nicht in der Lage sieht, soll wenigstens in Boot C gehen, mit Hilfe des Gesundheitsministeriums. So ermöglichen wir sowohl der katholischen Kirche wie auch dem Islam, dahin zu kommen, dass sie den Gebrauch von Kondomen erklären, ohne dafür zu werben.
Wie überzeugt man ein Land, solche Dinge zu machen?
Man muss gebildete Leute ansprechen, die etwas von Wissenschaft verstehen, aber auch in ihrer Gemeinschaft verankert sind und sich mit gesellschaftlichen Führern auseinander setzen können – nicht durch Medien und durch Konfrontation, sondern im direkten Gespräch. Und sie müssen aus persönlicher Erfahrung sprechen können. Das überzeugt am meisten. Wir arbeiten zum Beispiel mit ausgebildeten Gesundheitsarbeitern, die wissenschaftliche Erkenntnisse mit Koranversen verbinden und dies muslimischen Führern erklären. Ich selbst bin katholisch, aber dieser Ansatz hat mir klargemacht, dass man jedes Problem gütlich lösen kann.
Gilt das auch in Ländern, in denen die Infektionsraten außer Kontrolle zu geraten drohen, etwa in Südafrika, wo noch dazu die Haltung der Regierung der Aids-Bekämpfung nicht gerade förderlich ist?
Keine Situation kann außer Kontrolle geraten. Wir wissen, was Aids verursacht und wie man es verhindert. Was ich in Südafrika sehe, ist, dass die offizielle Position mit dem, was wirklich passiert, nichts zu tun hat. Die Programme funktionieren. Wir müssen die Aktivisten unterstützen und weniger Energie mit Politik verschwenden.
Uganda gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Aids. Was sind dort jetzt die nächsten Herausforderungen?
Die größte Herausforderung ist, Selbstgefälligkeit zu vermeiden. In Uganda höre ich immerzu: Wir haben es geschafft. Aber während die Infektionsraten in den Städten fallen, steigen sie nach wie vor in einigen ländlichen Gebieten, wo die Programme noch nicht richtig angelaufen sind, etwa in den nördlichen Kriegsgebieten. Eine andere wichtige Herausforderung ist der Tod. Auch wenn die Infektionsraten fallen, nimmt die Sterberate zu. Und die Anzahl der Waisen und Alten ohne Unterstützung steigt. Wir haben viele alte Menschen ohne familiäre Unterstützung, die sich um Waisenkinder kümmern. Damit müssen wir uns auseinander setzen. Wenn wir nicht heute massiv in antiretrovirale Therapien investieren, wird die steigende Zahl von Waisenkindern alle unsere Fortschritte zunichte machen. Die Länder müssen in Therapien investieren, um Zeit zu gewinnen. Wir jammern über Waisen, aber es ist ganz einfach: Wenn die Eltern nicht sterben, werden die Kinder keine Waisen. Unser Dialog mit den Pharmakonzernen macht es jetzt möglich, die Kosten von antiretroviralen Therapien auf 100 US-Dollar pro Monat zu senken.
Das ist immer noch viel Geld für ein armes Land.
Ja, aber wir vergleichen das mit den Kosten, die entstehen, wenn Infizierte nicht behandelt werden und alle zwei Monate mit einer neuen Infektion ins Krankenhaus müssen. Antiretrovirale Therapie ist in Wirklichkeit billiger. Wir sollten nicht nur über den Preis der Tabletten reden, sondern über den Gesamtpreis für Familien und Arbeitgeber, wenn ein Infizierter immer wieder an Tuberkulose und Lungenentzündung erkrankt. Und nicht alle zwei Millionen Infizierten in Uganda brauchen antiretrovirale Therapien. Es hängt davon ab, in welchem Stadium sie sind.
Wie hat der Kampf gegen Aids in Uganda die Gesellschaft verändert?
Zum Beispiel die Offenheit in Diskussionen über Sex, besonders unter Kindern. Ich bin noch in einer Kultur aufgewachsen, wo Eltern nie mit Kindern über Sex redeten. Heute hat sich das völlig geändert. Grundschüler erfahren darüber im Rahmen der staatlichen Lehrpläne. Ein Fünfjähriger in Uganda kann dir sagen, was Aids verursacht, und über Körperteile reden. Wichtig war auch die zunehmende Macht von Frauen. Der Umgang mit Aids hat dazu beigetragen, dass Frauen in Uganda jetzt Führungspositionen einnehmen. Eine weitere Wende hat sich im Umgang mit Aidskranken und Infizierten vollzogen. Die Leute wissen ja gar nicht, wie stigmatisiert und isoliert Familien von Infizierten früher gelebt haben. Vor kurzem ging ich in einem entlegenen Dorf in die Kirche. Nach dem Gottesdienst stand eine Frau auf und sagte: Ich lebe mit HIV. Die Leute hörten ihr zu und applaudierten, und hinterher drängelten sie sich, um sie zu umarmen, mit ihr zu reden und ihr Unterstützung anzubieten. Als mein Mann 1987 an Aids starb, war das noch ganz anders. Damals wurden Kranke in die Klinik gebracht und starben still.
Aber bis heute sind die Menschen in Uganda sehr zögerlich, zuzugeben, dass jemand an Aids gestorben ist.
Die Leute, die darüber reden, sind die einfachen Leute. Die Gebildeten dagegen schweigen. Sie denken, sie hätten etwas zu verlieren, wenn sie ehrlich sind. Das ist überall auf der Welt so. In der UNO und den ganzen anderen internationalen Organisationen ist unter den hochrangigen Mitarbeitern nur einer, der zugegeben hat, mit HIV zu leben: ein Weltbankdirektor. Dabei soll die UNO den Kampf gegen Aids führen! In Südafrika war es ein einziger Richter. Es muss doch noch mehr geben.
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