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Paradies ist draußen

■ Knackis aus der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen packen ihre Sehnsucht im Kulturbahnhof Vegesack in „Weiße Zellen“

Das Paradies sieht in jedem Kopf anders aus. Meistens wie etwas, was man gerade nicht hat. Und davon gibt es im Knast eine ganze Menge. Entsprechend vielfältig sehen die Zellen aus, in denen Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Oslebshausen ihre Träume und Hoffnungen gestalteten.

Die Installation „Weiße Zellen. Visionen vom Paradies“, die heute im Kulturbahnhof Vegesack eröffnet wird, entstand in der Bildhauerwerkstatt der JVA Oslebshausen. Seit 23 Jahren können Gefangene hier künstlerisch arbeiten. Der Name der Installation wurde vom Kulturbahnhof Vegesack angeregt, dessen Veranstaltungen in diesem Jahr um das Thema „Paradies“ kreisten. Jetzt ist in der lang gestreckten Halle des Ausstellungsraums ein Gefängnistrakt entstanden – ein Flur, acht Zellen hintereinander, die dicken Wände aus weißem Styropor. Jeder Raum verrät eine persönliche Vision vom Paradies.

Zelle Nummer sieben ist mit einer Wand geteilt. Durch ein herzförmiges Loch blickt der Betrachter in den abgetrennten Teil des Raumes: Nur die Gesichter von zwei Schaufensterpuppen sind zu erkennen – ein Mann und eine Frau, zwischen ihnen ein Strauß roter Rosen. Das ist die Zelle von Joe. Einige Monate, bevor er ins Gefängnis kam, hatte er seine Freundin kennengelernt. Dem Knacki im Blaumann ist „die Zwischenmenschlichkeit“ wichtig. „Die ist im Knast so bizarr.“ Joe zieht etwas verächtlich an seiner Zigarette, als er sagt, dass für ihn „das Paradies nichts mit Materialismus zu tun hat.“

Das sieht der Gefangene, der Zelle Nummer zwei gestaltet hat, offenbar anders: In der Mitte steht eine Palette voller Goldbarren, eingeprägt sind „1000 Gramm“ und „Paradies by Degussa“. Nebenan sieht es weniger nach Panzerknacker-Phantasien aus. Die Zelle, dreieinhalb Meter lang, zwei Meter breit, ist mit satter schwarzer Erde und mit Pflanzen gefüllt. Wild durcheinander wuchern Heidekraut und Geranien, Sträucher und Büsche, dazwischen die Holz-skulpturen einer Eule und einer Schlange. Dieser Garten inmitten des klinischen Weiß ist der einzige Raum, der an die biblische Version des Paradieses erinnert. In allen anderen erhalten private Sehnsüchte eine Form.

Für Mike, der vor seiner Zeit im Knast viel gesegelt ist, beginnt das Paradies „jenseits der 12-Seemeilen-Zone“. Dort gibt es für ihn statt Gesetzen nur „Weite und Freiheit“. Seine Zelle wird fast ganz von einer großen Metallschale eingenommen, die mit Wasser gefüllt ist. Von einer Lampe angestrahlt, wandert das Muster der Wellen über die Wände der Zelle. Freiheit heißt für andere Familie und all das, was draußen selbstverständlich ist: Reisen, telefonieren, oder essen zu können, worauf man Lust hat.

Auf die Frage, ob es nicht frus-trierend sei, im Gefängnis ausgerechnet über das Paradies nachzudenken, antwortet Joe: „Es bleibt dir das Fersehen, das Buch oder die Vergangenheit – da ist es nicht besonders schmerzlich, sich das Paradies vorzustellen. Denn das Paradies ist die Vergangenheit und die Zunkunft.“

Peter Ringel

„Weiße Zellen. Visionen zum Paradies“ im Kulturbahnhof Vegesack. Eröffnung heute um 18 Uhr. Bis zum 19. Dezember.

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