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Vier Freunde

Musik, die kindlich klingt, dabei aber ziemlich clever gemacht ist: Die isländische Band Múm sucht nach dem schönen Sound einer vertonten Freundschaft. Manchmal gelangt er von der Einsamkeit der Fjorde sogar direkt auf die Festplatte

Ein feingewebte Beatteppich, in dem immer neue Muster zu finden sind

von THOMAS SCHOPP

Es war einmal eine Popgruppe auf einer Insel im Meer. Die Insel nannte sich Island, die Popgruppe Múm. Es waren zwei Mädchen und zwei Jungen, die den lieben langen Tag nichts anderes machten als wunderschöne Musik. Sie spielten kleine Melodien auf ihren vielen, vielen Instrumenten. Prima verstanden sie sich mit ihrem kleinen Freund, dem Computer, der ihnen ganz eigenartige Klänge schenkte. Nachdem Múm eine hübsche Schallplatte aufgenommen hatten, sagten sie einander: „Wir wollen, dass auch die Menschen auf dem Festland sich an unserer Musik erfreuen.“ Und so zogen sie nach Berlin, wo sie viele Freunde fanden. Aber das ist eine Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll.

Vieles an diesem kleinen Märchen ist wahr. Múm – so nennt sich das isländische Quartett, das auf ganz eigene Weise das klassische Bandformat mit elektronischer Soundästhetik verbindet. Ihr Debütalbum „Yesterday was dramatic – today is ok“ spricht beredt von der gelungenen Synthese: Zehn verspielte Musikstücke finden sich darauf, in denen die Grenzen zwischen Instrument und Computer, Klang und Geräusch, Song und Track verwischen.

Traditionelles Gitarrengeschrammel ist Múms Sache nicht. Stattdessen erklingen Akkordeon, Glockenspiel, Cello und Melodica über einem fein gewebten Beatteppich, in dem auch nach mehrmaligem Hören neue Muster zu finden sind. Das Wort Múm steht für dieses offene Konzept von Sound, ansonsten steht es für nichts. „Es ist ein Kunstwort“, sagt Örvar Thóreyjarson Smárason (24), der vor drei Jahren mit Gunnar Örn Tynes (22) die Gruppe gründete. Die Mädchen Kristín Anna und Gyda Valtýsdóttir (19) stießen wenig später hinzu.

Vieles an dem kleinen Märchen zu Beginn ist nicht wahr. Oder besser gesagt: Es ist idealisiert, wie das bei Märchen so ist. In ihrer noch kurzen Karriere haben Múm nämlich schon einige Brocken überwinden müssen, die ihnen das Business in den Weg legte. Ihr erstes Album erschien bereits Ende 1999 auf Island, auf dem Kontinent hingegen erst im Frühjahr 2001, weil sich ihre Plattenfirma mit dem Vertriebspartner verkracht hatte. Dann veröffentlichte das Label ganz dreist eine Remixplatte, ohne die Musiker zu beteiligen oder überhaupt zu fragen. Entsprechend kritisch beäugen diese das laue Resultat, „Múm Remixed“.

Inzwischen sieht es für die vier besser aus. Einige überschwängliche Besprechungen in Musikmagazinen haben auf die Insulaner aufmerksam gemacht, und sie haben sich kompetentere Partner gesucht. Fat cat heißt zum Beispiel ihr neues, englisches Label. Außerdem hat sich der Münchner Hausmusik- Vertrieb ihrer angenommen. Seitdem sind beide Alben hierzulande zu bekommen.

Und mehr als das. Thomas Morr, Mitbegründer von Hausmusik, nennt seit zwei Jahren ein eigenes Label sein Eigen, Morr Music. Auch Múm waren bei ihm am Prenzlauer Berg zu Gast und so angetan von der Electronik Morr’scher Prägung, dass sie mit den Labelkünstlern schließlich ihr drittes Album produzierten. „Please smile my noise bleed“ enthält zwei neue Múm-Stücke und sechs Remixe, unter anderem von Isan, Christian Kleine und Arovane.

Múm mögen dieses Remixalbum sehr. Es verkauft sich recht gut, zur Zufriedenheit von Thomas Morr, der große Stücke auf die vier befreundeten Isländer hält: „Múm haben ihren ganz eigenen Sound, an dem nichts bemüht klingt. Du hörst es und weißt einfach, das sind Múm.“

Doch wie kommt er zustande, der Múm-Sound? Kristín Anna, Gyda, Örvar und Gunnar können nur schwer beschreiben, was da so klingt und warum. Sie suchen das Experiment und finden dabei unterschiedlichste Eindrücke, die sich zu Musik verdichten lassen. „Wir suchen nach dem Schönen. Es gibt keine feste Bandstruktur. Wir versuchen, es einfach zu halten“, sagt Örvar. „Wir lassen ganz unterschiedliche Eindrücke auf uns wirken: Musik, Bilder oder auch Gefühle“, fügt Gunnar hinzu.

Nicht zu vergessen die isländische Landschaft, zu der auch die jungen, überaus modernen Menschen in Reykjavík eine tiefe Beziehung haben. Sie sind allesamt überzeugt, dass die Magie verloren geht, wenn man zu viel darüber nachdenkt, was man tut.

Vor allem bauen die vier darauf, dass sie sich richtig gut leiden können

Romantische Naturverbundenheit haben Múm in diesem Sommer schon ausgiebig zelebriert. Einen Monat lang zogen sie sich in das entlegene Súgandafjord im äußersten Nordwesten der Insel zurück, um an neuem Material zu arbeiten. Man bezog ein Häuschen an einem verlassenen Leuchtturm, welches nur per Boot übers Meer zu erreichen war. Um fließendes Wasser zu bekommen, leiteten sie beispielsweise einen Bach in einen alten Wasserlauf um. Was in der Einsamkeit des Fjords auf die Festplatte gebannt wurde, soll im nächsten Frühjahr als fertiges Album erscheinen.

Einige der Miniaturen von Múm sind musikalische Erzählungen. Das Herzstück des ersten Albums „Yesterday . . .“ bilden die beiden ineinander fließenden Stücke „Asleep on a train/awake on a train“. Es ist schon ziemlich ergreifend, wie sich hier die Klangschichten übereinander legen, wie fragile Melodielinien auf einem Rhythmus schweben, der sich rastlos um sich selbst dreht wie das Rad einer Eisenbahn. Während sich das jedoch ziemlich spröde liest, tönt und rattert die Musik der vier quicklebendig daher. Es ist Musik, die kindlich klingt, aber unheimlich clever gemacht ist.

Vielleicht ist der Múm-Sound so etwas wie vertonte Freundschaft. Denn jenseits aller Professionalität, die sie besitzen, bauen die vier darauf auf, dass sie sich richtig gut leiden können. „Wir sind eigentlich immer zusammen und probieren Sachen aus. Einer arbeitet am Computer, während ein anderer vielleicht ein bisschen schläft“, erzählt Kristín Anna. Sie wollen auch, dass alle Menschen ihre Freunde sind. So ist es in einem Booklet zu lesen.

Das Bandprinzip Freundschaft wird demnächst allerdings einer Bewährungsprobe unterzogen. Kristín Anna und Örvar werden nämlich nach Berlin ziehen. Er und Gunnar lebten letzten Sommer einige Monate im Umfeld des Morr-Music-Labels. Beide zeigten sich fasziniert von der Millionenmetropole, die sich doch sehr grundlegend von der beschaulichen Kleinstadt Reykjavík unterscheidet. Die mehr als 2.300 Kilometer Entfernung werden dabei aber letztlich nicht als Problem betrachtet, im Gegenteil: „Wir sind sehr gespannt, wie sich unsere Musik entwickeln wird. Außerdem kann man sich ja besuchen“, meint Örvar. Und spätestens die geplante Tour Anfang nächsten Jahres wird die vier Freunde wieder zusammenbringen.

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