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Politik und Sehnsucht

■ „Lumumba“ von Raoul Peck und „El Medina“ von Yousry Nasrallah sind im Rahmen der Afrika-Filmtage im Kino 46 zu sehen

Ein ganzer Erdteil hat so gut wie kein eigenes Kino. Die neuste Kunst ist auch die teuerste, und deshalb werden in ganz Afrika pro Jahr gerade mal eine Handvoll Spielfilme produziert. Von denen zudem kaum einer außerhalb des Herstellungslandes zu sehen ist. Der einzige Film aus Afrika, der in den letzten Jahrzehnten einen wirklichen internationalen Erfolg feierte, war „Yeelen“, denn dessen magischer Realismus in saubergefegter archaischer Landschaft kam den Vorstellungen des westlichen Publikums von einem exotisch, märchenhaften Afrika schon verdächtig weit entgegen.

Um so wichtiger, dass das Kino 46 jetzt schon zum 9. Mal eine Woche lang „Afrika Filmtage“ veranstaltet, und um so erstaunlicher, dass zwei der Filme im Programm sogar einen deutschen Verleiher gefunden haben und in anderen Städten schon in Programmkinos zu sehn waren, obwohl sie nun ganz gewiss kein schönes, sagenhaftes, Bilderbuchafrika zeigen.

„Lumumba“ ist der Film, den Spike Lee gerne mit „Malcolm X“ gemacht hätte: ein Heldenepos über einen revolutionären, charismatischen und schwarzen Politiker, der nach seiner Ermordung zum Mythos geworden ist. Die Geschichte von Patrice Lumumba, der Anfang der 60er Jahre den Kongo in die Unabhängigkeit führte, als erster frei gewählter Premierminister kurz das Land regierte und dann mit Hilfe der belgischen und us-amerikanischen Geheimdienste ermordet wurde, wurde vom haitianischen Regisseur Raoul Peck schon einmal in einem Dokumentarfilm erzählt. Damals recherchierte er ausführlich, in welchem Umfang Belgien und die USA in den Komplott gegen Lumumba verwickelt waren. Jetzt konzentriert er sich auf den Protagonisten. Der Hauptdarsteller Eriq Ebouaney ist in fast jeder Einstellung zu sehen, und der Film erzählt im Grunde konventionell die letzten Kapitel aus dem Leben Lumumbas.

Wenn er dennoch nicht in die üblichen Fallen der biograpfischen Spielfilme tappt oder (wie Spike Lee) die Dramaturgie im Pathos ertrinken lässt, dann liegt das daran, dass man bei jeder Einstellung spürt, mit welcher Leidenschaft Peck diese Geschichte erzählen will. Man spürt seine Wut, seine Sympathie für den idealistischen, sich aufopfernden Lumumba, und man merkt an vielen Details, dass der Haitianer, der lange im Kongo gelebt hat genau weiß, wovon der erzählt. Massenszenen gelingen ihm genauso gut wie intime Dialoge, er hält sich zum Glück auch sehr mit Gewalt und Folterszenen zurück, dafür wirken diese dann aber so echt, dass man wirklich schockiert ist. Und er dämonisiert nicht etwa Lumumbas Rivalen, Nachfolger und späteren Diktator Mobuto, sondern untersucht lieber mit genauem Blick dessen langsamen Aufstieg. „Lumumba“ bietet zugleich großes Emotionskino und eine komplexe politische Analyse.

Der Ägypter Ali ist ein ganz anderer Held: ein Träumer, ein Möchtegernschauspieler, der Robert de Niro verehrt. In Yousry Nasrallahs „El Medina (Die Stadt)“ sieht man ihm fast immer nur dabei zu, wie er sich fortsehnt aus seinem Leben. Um diesen romantisch verlorenen Blick des Schauspielers Rosdy Zem geht es dem Regisseur, und wohl deshalb hat der Film einen kuriosen dramaturgischen Aufbau, den man mit Z-Z-A beschreiben könnte: Zwei Endpunkte und zum Schluß ein neuer Anfang. Zuerst sieht man Ali in seinem Kairoer Stadtviertel, wo er mit vielen guten Freunden lebt, er will aber unbedingt ein gefeierter Star werden, ist unzufrieden und fährt schließlich mit einer Theatergruppe nach Paris.

Jeder andere Regisseur hätte jetzt erst angefangen, und über das schwere Leben und die enttäuschten Hoffnungen von Ali in Frankreich erzählt. Nasrallah zeigt nur einen Zwischentitel: „Zwei Jahre später“ und erzählt von einem Ali, der schon wieder weg will. Er fristet sein Leben dadurch, dass er sich in manipulierten Boxkämpfen vermöbeln lässt und verliert bei einem Anschlag sein Gedächtnis. Barfuß und mittellos landet er wieder in Kairo. Manchmal möchte man diese sympathischen, ein wenig einfältigen Antihelden vor dem Filmemacher in Schutz nehmen: Ihm misslingt nun wirklich zu viel in seinem Leben. Aber langsam merkt man, dass Nasrallah ihm nicht wirklich wehtun will, denn er inszeniert so sanftmütig, dass die Katastrophen wie in Watte verpackt wirken. „El Medina“ hält sehr schön seine melancholische Grundstimmung, und Nasrallah ist ein Meister darin, Nebenfiguren in wahrhaftig wirkenden Szenen lebendig wirken zu lassen. Jeder Mensch, den Ali trifft, ist interessant und alle reden sie in einer poetischen, fast literarischen, aber nie unnatürlich wirkenden Sprache (soweit man das nach den Untertiteln beurteilen kann). So bringt auch ein Freund Alis Dilemma genau auf den Punkt: „Die richtigen Reisen macht jeder in seinem Kopf, das Flugzeug bringt uns nur von einem Gefängnis in das Nächste.“ Wilfried Hippen

„Lumumba“ ist heute Abend um 18 Uhr, „El Medina“ am Sonntag um 18.30 Uhr nocheinmal zu sehen. Beide in der Originalfassung mit Untertiteln

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