Eher dafür als dagegen

Jung, dynamisch, erfolgreich – und dann noch „Exkommunist“. Stefan Liebich soll als neuer PDS-Landesvorsitzender für mehr „proletarischen Spaß“ sorgen. Seit der Wende hat sich der linientreue FDJ-Sekretär zum linientreuen Reformer gewandelt

von ANDREAS SPANNBAUER

Aufstieg ist das falsche Wort dafür. Er ist nach oben gestürzt, so schnell, wie es eben gerade ging. Erfolg scheint die entscheidende Konstante im Leben des 28-Jährigen zu sein, der an diesem Samstag das Erbe der bisherigen PDS-Landesvorsitzenden Petra Pau antreten soll. Nur eines fehlt Stefan Liebich zum nächsten Triumph noch: ein Gegner.

Sehr zu seinem Ärger will partout keiner seiner Genossen eine Kampfkandidatur ausrufen. Kein Wunder: Sie wäre chancenlos. Dabei hätte der große Vorsitzende in spe so gerne einen Herausforderer. „Damit es nicht heißt, der stromlinienförmige Streber ist vom Landesvorstand inthronisiert worden.“

Auf den ersten Blick besteht zu dieser Vermutung durchaus Anlass. Denn die Lebensgeschichte des schlaksigen Mannes, der sich bevorzugt im leicht hippiehaftem Cordjackett zeigt, besticht nicht gerade durch dissidentes Verhalten. Dafür ist Stefan Liebich viel zu vernünftig. Einer, der nicht mit dem Kopf durch die Wand will, sondern ihn lieber dazu benutzt, die Tür zu suchen. In seiner Partei gilt er als Pragmatiker, der „grundsätzlich im Konfliktfall nach positiven Handlungsoptionen sucht“, wie es ein langjähriger Mitstreiter formuliert. Kein Wunder also, dass Liebich auch als Landeschef „keinen radikalen Wechsel“ des Kurses seiner ausgleichenden Vorgängerin vollziehen möchte.

Es gab Zeiten, in denen er diesen Pragmatismus auf die Spitze getrieben hat. Etwa, als es um seine berufliche Zukunft ging. Eigentlich wollte er Lehrer für Geschichte und Politik werden. Dann aber kam die Wende – unsichere Zeiten brachen an. Der gebürtige Wismarer, der mit neun Jahren nach Berlin kam, ging den Weg vieler junger DDR-Bürger. Er entschied sich für die sichere Variante. Ernüchter schrieb er sich für ein bodenständiges Studium in Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre ein. Bezahlt wurde das Ganze ausgerechnet vom Klassenfeind in Gestalt der Firma IBM. Die Finanzierung des Studiums war gesichert, der Traum vom Lehramt ausgeträumt.

Vor der alten Garde

Heute kommt ihm diese Entscheidung zugute. In der PDS rechnet man es dem Kandidaten hoch an, dass der „junge Mann“ über eine „technische Ausbildung“ verfügt, die „auf der Höhe der Zeit“ ist. In einer Parteizeitung wird sein Verzicht auf eine Karriere als „erfolgreicher Jungmanager mit glänzenden Aussichten in diesem Weltunternehmen“ zu Gunsten der Partei gelobt.

Vor ein paar Tagen stellte sich der angehende Landeschef beim Ältestenrat der PDS vor. Händeschütteln mit dem braven Enkelsohn im Karl-Liebknecht-Haus. Die alte Garde war von dem Neuen sichtlich angetan. Sie erwartete sich „mehr Aufmerksamkeit für die ehemaligen Angehörigen der Grenztruppen“, mehr „Systemkritik“ und „mehr proletarischen Spaß“ auf Parteiveranstaltungen. „Der junge Stefan“ zeigte sich zumindest gegenüber den ersten beiden Wünschen mehr als reserviert. Dabei aber blieb er so geradlinig, charmant und wohl formuliert, dass sich die alten Genossen am Ende glücklich schätzten, „einen so jungen Vorsitzenden wählen zu dürfen“.

Liebich gilt als offen, unkompliziert und ausgesprochen teamfähig. Vielleicht liegt das daran, dass Liebich in seiner Kindheit oft umgezogen ist und schnell neue Freunde finden musste. Vielleicht stammen diese Fähigkeiten aber auch aus der Zeit seines Studiums, als er Nachtschichten an einer Imbissbude an der Friedrichstraße schob und dabei die ganze kommunikative Abgründigkeit der menschlichen Existenz kennen lernen konnte. Er selbst nennt das sein „nordisches Naturell von Gelassenheit und Ruhe“.

Nur bis man ein persönliches Wort mit ihm wechseln könne, sagen Parteifreunde, dauere es etwas länger. Dazu gehört wohl auch, dass ihm manchmal ein etwas „sprödes Auftreten“ und „fehlende Unkonventionalität“ nachgesagt werden.

Überhaupt, Unkonventionalität. Schon in der Schule hat Liebich als FDJ-Sekretär – westdeutsch: Klassensprecher – schnell verstanden, dass es Grenzen gibt, die man einhalten muss. Zwar war es in der DDR in den Achtzigerjahren durchaus erlaubt, über die Gefahr eines dritten Weltkrieges oder das Verbot von Westfernsehen zu diskutieren. „Das Ergebnis stand aber schon vorher fest.“ Wirklich bekümmert hat das Liebich nie: „Ich gehörte zu denen, die eher dafür als dagegen waren.“ Am Ende schaffte er es sogar bis zum Schulsprecher.

Seine Begeisterung für abweichendes Verhalten entdeckte Liebich erst nach der Wende. Nach dem Mauerfall weigerte er sich eine Woche lang, den Westteil der Stadt zu betreten. „Frustphase“ nennt er das. Doch dann gewann wieder der Pragmatiker die Oberhand. An seinem 18. Geburtstag, „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“, wie er stolz sagt, wurde Liebich zum „Exkommunisten“. Er trat in die PDS ein, während andere massenhaft ihr Heil im Austritt suchten.

Nach einigen Parteitreffen in muffigen Hauskellern, „bei denen voller Trauer über das geredet wurde, was es nicht mehr gab“, begann sein steiler Aufstieg in der Partei. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1995 gewann er überraschend den Wahlkreis Biesdorf, bis zu diesem Zeitpunkt eine CDU-Domäne. Siedlungsgebiet, gepflegte Einfamilienhäuser, gepflegte Langeweile, wichtigstes Thema: Straßenerschließung. Stefan Liebich, der damals 23-Jährige mit den langen Haaren, hatte keinerlei Mühe, das Vertrauen der Anwohner zu gewinnen: Er machte sich einfach zum Experten für Straßenerschließung.

Im Abgeordnetenhaus

An der Macht hat Liebich längst Gefallen gefunden. In der Fraktion gehört er zu jener Gruppe von jungen Politikern, die sich bei den Sitzungen dicht um den Fraktionsvorsitzenden Harald Wolf drängen. „Die sitzen da fast schon aufeinander“, scherzt eine Genossin über die „Hahnenkämpfe“ in der jungen Generation. Liebich ist allemal ihr erfolgreichster Vertreter. Als Spiritus Rector des Wahlprogramms hat er im wohl wichtigsten Wahlkampf der PDS vor der Bundestagswahl eine federführende Rolle eingenommen.

Nun aber steht der Senkrechtstarter vor neuen Herausforderungen. Von seiner Vorgängerin übernimmt er eine Partei, die mit Gregor Gysi an der Spitze gerade ihren maximalen Erfolg verbuchen konnte. Afghanistankrieg, Bankenkrise, Spendenskandal – selten standen die Sterne so günstig für die PDS wie in diesem Herbst. Dennoch hat sich Liebich das ehrgeizige Ziel gesetzt, dieses Wahlergebnis zu halten. Das nötige Potenzial dafür sieht er im Westen und bei den jungen Leuten. Das Image der Partei soll modernisiert, die Strukturarbeit im Westen verbessert werden. „Niemand hat Lust, sich in Gerümpelkammern unter Marx-Engels-Gesamtausgaben zu treffen.“

Mit seinem Antritt steht außerdem eine weitere Normalisierung des Verhältnisses zu den übrigen Parteien bevor. Im Abgeordnetenhaus zollt man dem smarten Sozialisten längst parteiübergreifend Anerkennung. Mit dem SPD-Fraktionschef Michael Müller tauscht Liebich im Wirtschaftsauschuss nicht selten Komplimente von Fachpolitiker zu Fachpolitiker aus.

Selbst in der CDU betrachtet man ihn als Prototyp einer neuen Generation von PDS-Politikern. Dem neuen Landesvorsitzenden wird eine „grundsätzlich andere Herangehensweise“ attestiert: sachlich statt ideologisch. „Seine Wahl wird die sachliche Auseinandersetzung zwischen CDU und PDS weiter bestärken“, formuliert der CDU-Abgeordnete Mario Czaja diplomatisch, der selbst aus Marzahn stammt und Liebich „in lokalen Fragen als verlässlichen Partner“ schätzt.

Liebich hat also die besten Chancen, bei seiner Wahl ein hervorragendes Ergebnis zu bekommen. Hilfreich dürfte sein, dass er keinem der innerparteilichen Flügel zugerechnet wird. Dazu kommt, dass sich der Run auf die ehrenamtliche Tätigkeit als Landesvorsitzender ohnehin stark in Grenzen hält. Einen weiteren Grund die unangefochtene Kandidatur des sozialistischen Hoffnungsträgers erläutert ein PDS-Abgeordneter: „Er war noch in keiner so harten Konfliktsituation, dass er gravierende Fehler hätte machen können.“

Das könnte sich von nun an ändern. Dann wird Liebich im Ernstfall auch von seiner Rolle als netter Moderator Abschied nehmen müssen. Beim Treffen mit dem Ältestenrat jedenfalls nahm sich der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow den jungen Stefan noch einmal zur Brust: „Man wird nur ein Leiter, wenn man sein eigenes Profil setzt.“ Soll heißen: Wenn einem niemand widerspricht, hat man meistens etwas falsch gemacht.